Zulehner: Kirchgangsdaten zeigen wachsende Entfremdung von Frauen
"Die Entwicklung des Sonntagskirchgangs in den letzten 50 Jahren war dramatisch" - und das gilt für die diesbezüglich lange Zeit "verlässlicheren" Frauen noch mehr als für Männer. Darauf hat der Wiener Theologe und Religionssoziologe Paul Zulehner in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "Welt der Frauen" (03/2020) hingewiesen und sich dabei auf Datenmaterial über "Religion im Leben der Österreicher*innen 1970-2020" gestützt, das demnächst unter dem Titel "Wandlung" als Buch erscheint. "Die neuesten Daten sprechen eine deutliche Sprache", schrieb Zulehner. "Wird sie verstanden?"
Vor einem halben Jahrhundert besuchten in Österreich noch 50 Prozent der weiblichen Bevölkerung die sonntägliche Messfeier; aktuell sind es nur mehr 14 Prozent, wie Zulehner darlegte. Im Vergleich dazu schrumpfte bei den Männern diese Zahl von 41 auf 9 Prozent. Diese Entwicklung verschärfe sich im Blick auf die Unter-30-Jährigen: Sowohl bei den jungen Frauen als auch Männern nehmen nur noch 5 Prozent am Sonntagsgottesdienst teil.
Der Kirchgang ist nach den Worten des Theologen gewiss nicht der einzige Berührungspunkt mit der Kirche. "Aber die Analysen zeigen glasklar, dass der Kirchgang als Austausch mit einer Gemeinschaft des Evangeliums in einer postchristlichen Gesellschaft ausschlaggebend ist, ob jemand eine konsequente Christin sein kann und auch ist."
Das verheiße auch für die Zukunft nichts Gutes: Zulehner nannte es unwahrscheinlich, dass mehr als die bereits engagierten fünf Prozent der jungen Frauen im Lauf ihres künftigen Lebens anfangen werden, sich stärker am Leben der Kirche zu beteiligen. Dies könne nur gelingen, wenn kirchliche Gemeinschaften mit ihrem liturgischen und karitativ-diakonalen Wirken für Frauen anziehend werden. "Dazu aber ist die Kirche in ihrer herkömmlichen männerdominierten Gestalt derzeit nicht in der Lage", befand der emeritierte Uni-Professor für Pastoraltheologie.
Sonst gleichgestellt, in Kirche "diskriminiert"
Gerade junge Frauen, die in ihrem gesellschaftlichen Leben weithin Gleichstellung erfahren, erlebten ihre Position in der Kirche als "diskriminierend". Das zeige sich vor allem am "Ausschluss" von den Weiheämtern. Und auch die "hymnischen Worte" von Kirchenverantwortlichen, wie wichtig Frauen in der Kirche auch ohne diese Berufungsmöglichkeit seien, können den Entfremdungsprozess laut Zulehner nicht umkehren.
Der Theologe regte in seinen Überlegungen zur Frage: "Hat die Kirche die Frauen schon verloren?" aber auch an, "Kirche" weiter zu verstehen als in ihrer institutionellen Gestalt. Wo immer Frauen sich im Sinn des Evangeliums Jesu für eine gerechtere, friedvollere, menschlichere Welt einsetzen, "dort ist bereits Kirche". In seinen Wertestudien stoße er auf engagierte Frauen, "die sich genau für diese Leidenschaft Gottes für die Welt beanspruchen lassen" und damit "Kirche pur" bildeten. Zulehner: "Diese 'Kirche' kann die Frauen nicht verlieren, denn sie sind ja selbst 'Kirche'." Jene institutionalisierte, kulturell überformte Kirchengestalt freilich, "die Männer privilegiert", brauche eine entschlossene Veränderung.
Paul Zulehners Buch "Wandlung. Ergebnisse der Langzeitstudie Religion im Leben der Österreicher*innen 1970-2020" erscheint am 18. März im deutschen Matthias-Grünewald-Verlag und kostet 41,20 Euro.
Quelle: kathpress