25 Jahre Affäre Groer: Kirche braucht Gewaltenteilung
Vor exakt 25 Jahren, im Frühjahr 1995, wurde der damalige Wiener Erzbischof Kardinal Hans Hermann Groer des sexuellen Missbrauchs beschuldigt - eine erste massive Welle der bis heute anhaltenden kirchlichen Missbrauchsdebatte schwappte über Österreich. Der Wiener Professor für Fundamentaltheologe an der Universität Wien, Wolfgang Treitler, hatte - wie er in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" schreibt, "an der Glaubwürdigkeit dieses Vorwurfs keinen Zweifel". Der Theologe, der auch seine eigenen Missbrauchserfahrung öffentlich machte, fordert in seinem Rückblick u.a. eine Gewaltenteilung im Bereich der katholischen Kirche und das Abgehen von der "rigiden Gehorsamsforderung" des Klerus.
Treitler hinterfragt kritisch das, was als wesentliche soziale Voraussetzung sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche gelte: eine "hermetisch geschlossene Gesellschaft" mit Schweigeboten und einer als "gottgegeben" dargestellten, klar strukturierten "Hierarchie der Über- und Unterordnung". Solche Strukturen, die alle Macht in der bischöflichen Hand versammelten - Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Exekutive -, überfordern nach Überzeugung Treitlers nicht nur die Amtsträger, sondern entziehen auch notwendige Kontrollmöglichkeiten.
Eine Gewaltenteilung in der Kirche einzuführen wäre somit "Zeichen echter Umkehr angesichts der Missbrauchsverbrechen und ihrer jahrzehntelangen Verschweigung", befand der Wiener Theologe. Eine Rechenschaftspflicht gegenüber dem Glaubensvolk würde verdeutlichen, dass dieses "nicht mehr eine Sammlung von blökenden Schafen" ist, "die andächtig den Hirten lauschen und alles hinnehmen werden".
Zu "Lebensweisen, die Missbrauch ermöglicht und gedeckt haben", merkte Treitler an: "Es mag sein, dass der Zölibat eine wichtige Voraussetzung dafür war und ist. Ihn für Priester freizustellen, bedeutet nicht, ihn abzuschaffen". Wesentlich anfälliger für Missbrauch sei jedoch eine rigide Gehorsamsforderung: "Sie okkupiert das Innerste eines Menschen, schaltet Verantwortung aus und entmündigt." Treitler nannte es hoch an der Zeit, die auch dogmatisch grundgelegte Gehorsamsforderung zu relativieren "und echten Diskursen auszusetzen". Rhetorische Nachfrage des Autors: "Oder traut man Gott wirklich so wenig über den Weg, seine Wirklichkeit durchzubringen?"
"Theologie angesichts des Missbrauchs"
Eine "Theologie angesichts des Missbrauchs" hat laut dem Uni-Professor auch Auswirkungen auf das Gottesbild: Angesichts der Missbrauchsverbrechen erscheine das meiste des tradierten Redens von Gott "wie eine durchschaubare Rhetorikübung religiös Angestellter", die weithin bedeutungslos bleibe. "Denn religiös gesehen, betreffen die verübten Perversionen die Substanz des Glaubens", erklärte Treitler: "Im kirchlichen Raum rechneten die Missbrauchsverbrecher mit größter Sicherheit damit, dass den von ihnen Gepeinigten kein Gott zu Hilfe kommen wird." Dieses Kalkül sei aufgegangen: "Ich weiß von keinem und keiner einzigen Geschändeten, dass in den Stunden der Finsternis Gottes rettende Hand gefühlt wurde."
Notwendig sei daher eine "Theologie im Abgrund der widerfahrenen Gottlosigkeit". Damit ist nach den Worten Treitlers eine Theologie zu verstehen, "die das dogmatische Korsett abwirft im Namen der Geschändeten, weil ihr zerrüttetes Ebenbild einen Anspruch auf theologische Solidarisierung stellt, der wesentlich bedeutender ist als der dogmatisch erzwungene Konsens von eisern geschmiedeten Sätzen, deren Gehorsamsforderung den Missbrauch reaktiviert und mobilisiert".
Eine solche Theologie werde in Analogie zu Jesu Worten vom Weltgericht nach seiner Wiederkunft (Mt 25,38f.) im Blick auf Missbrauchsopfer fragen: "Warum haben wir dich ausgezogen, nackt stehen lassen, sind über dich gekommen?" Dies erfordere auch klares Nachfragen in Bezug auf die Ermöglichungsfaktoren des Missbrauchs "und den Mut, aufzustehen und befreiende Wege zu gehen", schloss Treitler.
Quelle: kathpress