Theologe: Auch die Apostel erlebten Ostern in Selbstisolation
Das Osterfest entfällt unter den diesjährigen Corona-Bedingungen nach Ansicht des Theologen Jozef Niewiadomski nicht, im Gegenteil: "Wir sind heuer noch viel näher am Erleben des ersten Ostern durch die Apostel", rief der Innsbrucker Dogmatiker am Freitag im Interview mit Kathpress in Erinnerung. Auch die Jünger Jesu seien laut den biblischen Berichten aus Angst im Abendmahlssaal eingeschlossen gewesen, als ihnen der Auferstandene begegnete, und mehr noch: Sie hätten selbst nach diesem Erlebnis noch wochenlang - bis zum Pfingstfest 50 Tage später - die Selbstisolation nicht verlassen.
"Die Kirche erlebt 2020 eindrücklich die Situation des geschlossenen Abendmahlsaals, und auch alle, die nicht kirchlich gebunden sind, haben daran Anteil", betonte der Innsbrucker Theologe. Jesus habe bei den österlichen Begegnungen in Jerusalem und Emmaus den Jüngern weder ihre Angst vor der Bedrohung noch die Bedrohung weggenommen. Die Angst sei jedoch "in begnadete Angst verwandelt" worden, sagte Niewiadomski: Das Wissen um die Gegenwart des Auferstandenen habe für die Apostel trotz fehlender Perspektiven einen Hoffnungsschimmer bedeutet - und könne dies auch heute leisten.
Für die Bewältigung der Corona-Krise sei die Exodus-Erzählung als weitere Bibelstelle der Osterliturgie ebenfalls hilfreich, sagte Niewiadomski. Die Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten werde vom römischen Geschichtsschreiber Josephus Flavius in der ägyptischen Rezeption als "Anti-Exodus-Mythos" völlig gegensätzlich geschildert: Als "Heilsereignis" der Überwindung einer Seuche - die eine der "zehn Plagen" war - durch Vertreibung der Fremden im Land. "Mechanismen wie Beschuldigung, Suche nach Sündenböcken und Vertreibung sind die größte Gefahr auch in der heutigen Epidemie und in der sie begleitenden sozialen Krise", zog der Theologe Vergleiche.
Gott als Anwalt der Infizierten
Völlig im Gegensatz dazu, habe sich der christlich-jüdische Gott jedoch auf Seiten der Opfer gestellt und sich ihnen zugewandt. "Der wahre Gott beendet die Katastrophe der Epidemie nicht durch Vertreibung der Außenseiter, der Kranken oder der anscheinend Schuldigen. Er macht sich zum Anwalt der Opfer, rettet die Menschen und rettet durch die Krise hindurch", sagte der Innsbrucker Dogmatiker.
Diese "Strategie Gottes" bestätigte sich dann im Buch Jesaja mit der Prophezeiung vom "leidenden Gottesknecht" und deren Erfüllung in der Passion Christi am Karfreitag. "Jesus wurde geschlagen, schlug aber nicht zurück. Vielmehr übte er Vergebung statt Rache. Er hat somit das ihm widerfahrene Böse in eine Haltung der Hingabe verändert und in Gutes verwandelt. Gott ist nicht Ursprung der 'krummen Zeilen' dieses Todes, schreibt aber auf diesen Zeilen gerade", schilderte Niewiadomski, und fügte hinzu: "Stellt nicht die Situation des 'verriegelten Abendmahlsaals' für die im kulturellen Teufelskreis der Anschuldigung und Schuldabschiebung gefangenen Kirche die Chance zur Neubesinnung auf den kulturstiftenden Wert der Verwandlung des Bösen dar?"
Auch die versöhnte Haltung des Auferstandenen gegenüber den verängstigten Aposteln, die ihn zuvor in Stich gelassen hatten, spreche davon: Sein Zuspruch "Friede sei mit euch" sei ein "Akt der Versöhnung und Schuldvergebung" gewesen, der es den Aposteln erlaubt habe, trotz ihres Versagens und ihrer oftmaligen Rangstreitigkeiten jetzt auch miteinander versöhnt umzugehen - "auch unter den Bedingungen der Eingeschlossenheit. Nicht Angst und Isolation haben das letzte Wort, sondern die Verwandlung", so der Theologe.
Quelle: kathpress