Vatikanistin: Franziskus oft missverstanden als politischer Papst
Papst Franziskus wird nach Einschätzung der aus Österreich stammenden Vatikan-Journalistin Gudrun Sailer "oft missverstanden als politischer Papst, der auftritt wie ein Gewerkschaftsmann. Das tut er manchmal wirklich, aber er ist ein geistlicher Führer". Das habe sich im Agieren des Papstes in der Coronakrise auf deutliche Weise gezeigt. "Die Leute, die ihm von der einen oder anderen Seite Vorwürfe machen, konnten nun nicht mehr übersehen, dass er ein geistlicher Führer ist", sagte die seit 2003 als Redakteurin bei "Vatican News" (früher: Radio Vatikan) tätige Radiojournalistin im Interview mit der Kooperationsredaktion österreichischer Kirchenzeitungen.
Das jüngste Dokument der Kleruskongregation über Pfarrreformen findet Sailer "schwierig, weil es dem Geist des aktuellen Pontifikats widerspricht. Ich kann es mir nicht erklären".
Franziskus wolle die Kurie in Rom reformieren und daraus eine Servicestelle, eine Diensteinheit machen, in der nicht mehr gilt: "Wir sitzen 'oben' im Vatikan und sagen euch, was Sache ist." Laut der Vatikanistin sollen die Kurienbüros und Behörden nach dem Wunsch des Papstes wirklich im Dienst der Ortskirchen stehen. "Das erweist sich als schwieriger als ursprünglich gedacht. Papst Franziskus ist seit siebeneinhalb Jahren Papst, und es ist nicht ganz einfach, weder mit der Kurienreform noch mit diesem Dienstgeist."
Die Möglichkeiten der Medienarbeit im Vatikan haben sich in den vergangenen Jahren geändert, wies Sailer hin. Sie sprach von einem Übergangsprozess, dessen Ende noch nicht abzusehen sei. In der Arbeit sei ein permanentes Nachdenken darüber erforderlich, was es konkret bedeutet, im Dienst des Papstes zu stehen, gleichzeitig im Dienst der Weltkirche, aber auch im Dienst einer kleinen Landpfarre in Österreich. Es gelte eine gute Balance zwischen journalistischer Berichterstattung und der Funktion einer Pressestelle zu wahren.
Auf die Frage, von welcher Kirche sie träume, nannte die in einer St. Pöltner Ordensschule sozialisierte Sailer den Wunsch nach einem größeren Miteinander als jetzt. "Das muss eine Kirche sein, die nicht nur von oben nach unten schaut. Sondern, wie man es im Zweiten Vatikanum ja auch festgehalten hat, eine Kirche, die unterwegs ist. Ein gemeinsames Unterwegssein."
Quelle: kathpress