Leseexpertin Lexe: Buch und Tablet sollen einander ergänzen
Die digitalen Medien und die Welt der Bücher müssen bei der Leseerziehung nicht einander ausschließende Konkurrenten sein, sie könnten einander vielmehr ergänzen. Darauf hat die Kinder- und Jugendbuchexpertin Heidi Lexe in einem Kathpress-Interview vor dem Hintergrund der Debatte über den Einsatz von Tablets im Schulbetrieb hingewiesen. Es gebe viele Möglichkeiten, mobile Computer zu nutzen und damit die Lesemotivation der jungen Menschen sogar zu fördern.
Freilich: Kinderbücher haben laut der an der Universität Wien lehrenden Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur ("Stube") der Erzdiözese Wien Qualitäten, die "einen wunderbaren Kontrapunkt setzen" zu den vielen Reizen, die ein Tablet biete. Kinderbücher vorgelesen zu bekommen habe als allererste Erfahrung mit Büchern und dem Lesen eine wesentliche Bedeutung im Hinblick auf die weitere Lesemotivation. Gerade das Vorlesen spiele dabei eine entscheidende Rolle, wies Lexe hin. Man spreche nicht umsonst vom "Lesen vor dem Lesen", das besonders wichtig sei, um sich diese grundlegende Kulturtechnik anzueignen.
In die Warnrufe mancher Fachleute, in der Schule nur ja nicht zu früh auf digitale Medien und ihre Instrumentarien zu setzen, stimmt Lexe nicht mit ein. Sie weiß, dass Tablets u.a. Bildschirmgeräte bei Kindern und Jugendlichen überaus beliebt sind. Unterschiedliche mediale Ebenen würden einander hier überlagern, Impulse und Reize seien auf diese Weise stärker präsent. Das Tablet vereine das Visuelle, das Auditive und das Haptische und spreche unterschiedliche Sinne an, erklärte die Expertin. Auch das Hin- und Herspringen zwischen unterschiedlichen Ebenen begeistere junge Menschen. All das zusammen mache den besonderen Reiz der digitalen Medien aus.
Wäre es da eine Option, vermehrt auf interaktive Kinderbücher zu setzen? Nicht unbedingt, findet die Leseexpertin. Das Anschauen eines Bilderbuchs fördere das Erfassen des Dargestellten und das Herstellen von Zusammenhängen. Diese langsame, genaue Art des Hinschauens - ohne, dass sich gleich etwas bewegt - gelte es zu erlernen.
Corona-Krise schürte Kreativität
Die "Stube"-Leiterin erinnerte daran, dass in Zeiten des Corona-Shutdowns viele die Möglichkeit nutzten, öfter ein Buch zur Hand zu nehmen oder im Web die verschiedensten Vorleseangebote wahrzunehmen. Die Pandemie veranlasste viele Literaturschaffende dazu, selber aus ihren Werken vorzulesen, Schauspielerinnen und Schauspieler entdeckten die digitalen Medien und das Vorlesen von Büchern neu für sich. Auch Verlage und Literaturhäuser stellten neue kreative Initiativen bereit. "Solche Möglichkeiten fand ich sehr reizvoll, gerade in dieser Zeit", sagte Lexe.
Sie wies darauf hin, dass auch lesebegeisterte Jugendliche das Internet als Plattform entdecken, um ihre Kreativität auszuleben und z.B. Videos zu ihren Lieblingsbüchern machen. Das sei eine spannende Auseinandersetzung mit dem Lesen, mit der Fantasiewelt des Buches und ein kreativer Prozess, der mit digitalen Mitteln gut funktioniere: Jugendliche tauschten sich innerhalb einer Internet-Community in einem virtuellen Buchklub aus, recherchierten zu Büchern, gestalteten Teaser und eigene Soundtracks passend zu ihren Lieblingsbüchern.
Es kommt nach den Worten der Jugendliteraturfachfrau darauf an, mit den jeweiligen Medien und vorhandenen Kompetenzen klug umzugehen. Statt Polarisierung Buch-Bildschirm rät Lexe zur Überlegung: Wie schaffen wir es, unterschiedliche Medien klug miteinander zu kombinieren? Ein Tablet könne das Buch nicht ersetzen. "Es kann aber viel Raum rund um das Buch schaffen."
Quelle: kathpress