Martin Werlen: "Social distancing" gerade jetzt fehl am Platz
"Social distancing" ist gerade jetzt fehl am Platz - auch wenn physischer Abstand in Zeiten der Pandemie durchaus angebracht sei: Für die Bewältigung der Corona-Krise erachtet es der neue Propst der Vorarlberger Propstei Sankt Gerold, der bekannte Schweizer Benediktiner Martin Werlen, als "gerade jetzt so wichtig, gemeinschaftlich zu handeln, miteinander auf dem Weg zu sein". In den vergangenen Monaten mit gelockerten Schutzmaßnahmen "haben wir schnell gemerkt, dass wir wieder im alten Fahrwasser sind", sagte der auch als Buchautor bekannt gewordene Ordensmann im Interview der Wochenzeitung "Die Furche" (aktuelle Ausgabe). Werlen empfahl, innezuhalten und den eigenen Lebensstil zu überdenken.
"Wie können wir in dieser Welt heute leben, dass es nicht nur einigen gutgeht", sei eine entscheidende Zukunftsfrage. Der Propst verwies auf viele große Denker, die heute darauf hinwiesen, dass nicht alles beim Alten bleiben könne. Zu grundlegendem Umlernen seien jedoch viele Anstöße nötig, meinte Werlen. "Das gilt nicht nur für die Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch für die Kirche." Die gegenwärtige Situation könne lähmen, das erlebe er auch an sich selbst, wie der Benediktiner eingestand. "Doch lassen wir uns kreativ herausfordern!" Eine Veranstaltung absagen zu müssen, könne z.B. durch Livestream oder andere Impulse kompensiert werden. Gerade die Kirche habe hier die Aufgabe, kreativ zu sein, "denn Gott ist ein Gott der Überraschungen" und Kreativität etwas, das "zutiefst in Gott gründet", erklärte Werlen. Und er appellierte: "Das sollte Menschen durch uns, durch Ordensleute und durch alle Getauften erfahren."
Buch "Raus aus dem Schneckenhaus!"
Wie ein Aufruf an die Kirche zum Aufbruch aus Lethargie und Behäbigkeit klingt auch Martin Werlens neues Buch "Raus aus dem Schneckenhaus!" (Herder 2020), auf dessen Frontseite eine Kirche das Schneckenhaus darstellt. Es greift die Aufforderung von Papst Franziskus auf, die Kirche möge sich aus Bequemlichkeitszonen hinaus an die Ränder der Gesellschaft begeben und wendet dies auf die Pandemie-Situation an: "Wie schrecklich es ist, immer drinnen sein zu müssen, haben im Jahr 2020 viele Menschen erfahren", heißt es in der Verlags-Info über das Buch. Werlen wendet sich gegen jene Gruppe von Menschen, die sich freiwillig in die Abschottung begeben hätten, "um nicht von den 'Viren der Zeit' angesteckt zu werden". Tragisch sei, dass diese "möglicherweise kranken Menschen" in den Glaubensgemeinschaften vielfach den Ton angeben würden. Doch "selbstgerechtes Abgeschottetsein" darf laut Werlen nicht mit Glauben verwechselt werden.
Der Propst von St. Gerold nehme die Leser mit auf einen Weg voller Überraschungen: "zu einem Glauben, der ... mutig bei den Menschen ist und zusammen mit ihnen den Weg in die Zukunft sucht", so die Ankündigung des demnächst erscheinenden Bandes. Das bringe Bewegung in die Kirche und in die Gesellschaft - selbst in der größten Krise. Werlens Überzeugung bildet auch den Untertitel des Buches: "Nur wer draußen ist, kann drinnen sein!"
Der 58-jährige Benediktiner wirkte lange Zeit als Novizenmeister und Gymnasiallehrer im Schweizer Kloster Einsiedeln, von 2001 bis 2013 war Werlen dort der 58. Abt und Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz. Seit August ist er Propst von St. Gerold in Vorarlberg. Seine Bücher ("Zu spät. Eine Provokation für die Kirche, Hoffnung für alle", 2018, oder "Auf der Suche nach dem Eigentlichen. Zu Gast in der Stille des Klosters", 2003) sind Bestseller in Deutschland und der Schweiz. Werlens "Raus aus dem Schneckenhaus!" umfasst 176 Seiten und kostet 20 Euro.
Quelle: kathpress