
Krautwaschl über Corona: Miteinander durch das "Auge des Orkans"
In der Corona-Krise geht es darum, wie man bestmöglich "durch das Auge des Orkans" kommt und nach Überzeugung des Grazer Diözesanbischofs Wilhelm Krautwaschl geht das nur in Gemeinsamkeit und mit Bündelung der Kräfte. Ein Beispiel dafür gab die Diözese Graz-Seckau selbst - mit dem "Steiermark-Dialog 2020", zu dem ihr Fonds für Arbeit und Bildung Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Sozialpartnerschaft in das kirchliche Bildungszentrum Schloss Seggau einlud und zum gemeinsamen Nachdenken über Bewältigungsstrategien anregte. Die Diözesan-Website berichtete am Montag über das hochkarätig besetzte Treffen.
Dialogteilnehmer waren u.a. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, die Spitzenvertreter der steirischen Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Landwirtschaftskammer, von ÖGB, Arbeiterkammer und AMS, aus dem Bereich der Medien ORF Steiermark, "Kleine Zeitung" und "Steirerkrone", weiters der Rektor der Med-Uni Graz, Caritasdirektor Herbert Beiglböck und als Referent der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold.
Die gegenwärtigen Herausforderungen seien enorm, wies Bischof Krautwaschl eingangs hin: Neben der Gesundheit stelle die Pandemie auch die Wirtschaft, Arbeitsplätze, Annehmlichkeiten des Lebens und Alltags in Frage. "Der Schutz der Gesundheit hat Priorität, aber es geht auch um so etwas wie eine soziale Gesundheit", betonte Krautwaschl. Trotz allem gelte es zuerst, nicht die Hoffnung zu verlieren, obwohl die Sorge über das Auseinanderbrechen der Gesellschaft wegen des steigenden Individualismus nicht von der Hand zu weisen sei. Krautwaschl bezeichnete es als "unsere Aufgabe als Kirche, Vertrauen in das Dunkle hineinzusagen und darauf zu schauen, dass niemand zurückbleibt". Der Bischof unterstrich auch die Wichtigkeit konkreter Solidarität: "Solange wir teilen, kann mehr entstehen." Die Bereitschaft dazu sei durchaus gegeben.
Den Geist des Vertrauens und Zuversicht beschwor auch Prof. Neuhold von der Universität Graz. Man müsse in der Krise zuerst einmal den "kleinen Hunger" der Menschen im Auge haben - das Überleben der Menschen - und gleichzeitig für den "großen Hunger nach dem guten Leben" Perspektiven schaffen. Wirtschaftliche Gerechtigkeit erfordert nach den Worten des Sozialethikers, dass die Verantwortlichen zukunftsgerecht, umweltgerecht und menschengerecht agieren.
Neuhold warnte davor, den Menschen nur über seine Arbeit wahrzunehmen. Der Fokus allein auf Erwerbsarbeit greife zu kurz, denn Arbeit sei mehr als Produktion und Profit, sondern umfasse auch soziale Aspekte. Die derzeitigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt könnten mit einer Kombination von Grundeinkommen und Erwerbsarbeit bewältigt werden, regte der Theologe an. Das Ziel müsse ein gelungenes Leben für alle sein.
Schützenhöfer: Unzufriedenheit wird steigen
"Die eigentliche Herausforderung für die Politik wird erst kommen, wenn das Virus eingedämmt ist, weil die Unzufriedenheit der Menschen steigen wird", prognostizierte Landeshauptmann Schützenhöfer. Es gelte zu verhindern, dass es zu einer Massenarbeitslosigkeit kommt. Die Politik nehme dafür mehr Schulden in Kauf, um Bedürftige durchzutragen. Schützenhöfer gab aber zu bedenken: "Kurzarbeit ist verschleppte Arbeitslosigkeit und die Frage ist, wie lange wir uns das leisten können."
Sorge bereitet dem Landeshauptmann auch ein von ihm georteter Werteverlust. Europa sei ein saturierter Kontinent mit einem hohen Wachstum geworden. In Gesellschaft habe sich Beliebigkeit eingeschlichen und die eigenen Bedürfnisse seien das Maß alles Dinge. "Corona können wir in den Griff bekommen - aber das?", zeigte sich Schützenhöfer nachdenklich.
Laut Hellmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz, ist noch unklar, wann es einen Impfstoff gegen Covid-19 geben wird, "wir müssen Geduld haben". Neben dem virologischen Problem gebe es freilich ein weiteres: Der Mediziner sprach von einem massiven Zuwachs an Angststörungen. "Instabile Menschen sind hoch verunsichert und psychische Schwierigkeiten betreffen eine viel größere Zahl von Menschen, als wir derzeit sehen. Wenn dann noch Arbeitslosigkeit dazukommt, kann das zu großen sozialen Problemen führen", warnte Samonigg.
Arbeit in Zukunft neu denken
Karl-Heinz Snobe, Geschäftsführer des AMS Steiermark, und Josef Herk, Präsident der Wirtschaftkammer Steiermark, verwiesen auf bestehende Unwägbarkeiten. "Wir wissen nicht, wie die nun beginnende Kurzarbeitsphase 3 aufgenommen wird, wie sich Reisewarnungen auf den Tourismus auswirken, wie die Arbeitslosigkeit 2021 sein wird", sagte Snobe. Man müsse mit hoher Arbeitslosigkeit bis 2024 rechnen. Herk ergänzte, dass die Wirtschaft das Jahr 2021 schon jetzt abgeschrieben habe. Allerdings sei das Miteinander zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bisher mustergültig.
Arbeiterkammer-Präsident Josef Pesserl regte an zu "überlegen, wie wir in Zukunft Arbeit vernünftig verteilen, damit Arbeit Sinn für das Leben bringt und die Existenz sichern kann". Die gegenwärtige Krise werde noch lange andauern "und wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Ähnlich ÖGB-Landesvorsitzender Horst Schachner: "Wenn nach dem Winter 700.000 Menschen arbeitslos werden, dann haben wir eine Situation, die es in der Zweiten Republik nie gab." Wenn weniger Arbeit da sei, müsse man überlegen, wie diese zu verteilen ist. Auch Schachner könnte sich ein Grundeinkommen vorstellen, das durch Lohnarbeit aufgebessert wird.
Die Unsicherheit in der Planbarkeit bringe für die Industrie die größte Herausforderung mit sich, erklärte Präsident der Industriellenvereinigung, Stefan Stolitzka. Zum Glück seien Industrie und Wirtschaft in der Steiermark sehr gut aufgestellt. Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Titschenbacher verwies auch auf Positives, das Corona mit sich gebracht habe: Regionale Versorgung und Ernährungssouveränität hätten wieder einen Wert gewonnen, die Land- und Forstwirtschaft seien als systemrelevant erkannt worden.
Caritas-Sozialberatung sehr gefragt
Eine Reihe von Extremsituationen und Existenzproblemen benannte der Grazer Caritas-Direktor Herbert Beiglböck: den Verlust an sozialen Kontakten und Einsamkeit, dass nicht alle Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen sind, dass eine schon vor Corona prekär lebende Gruppe von Menschen aus der Bahn geworfen zu werden droht, dass in der Pflege "viel zurückgefahren worden" ist und dass Bildungskarrieren nach wie vor von der Familiensituation abhängen.
Wenn zuletzt Unternehmensgründer und Selbstständige, die sich das davor nie vorstellen konnten, Hilfe suchend zur Caritas kommen, zeigt sich laut Beiglböck eine "neue Gruppe von Menschen, die mit Not konfrontiert ist". Neben den Auswirkungen der Pandemie auf die Psyche der Menschen habe sich das Coronavirus für viele Steirer auch schon massiv im Geldbörsel ausgewirkt, sagte der Caritas-Direktor: "Wir haben in unserer Sozialberatung bis Ende September eine Steigerung von 39,7 Prozent, das wird pro Monat nicht besser. Die Leute sagen, 'es geht sich nicht aus'." Es gelte Betroffene zumindest soweit abzusichern, dass ihre Grundbedürfnisse gedeckt sind.
Quelle: kathpress