Wien-Wahl: Kirchen befragten Parteien und Kandidaten
Wie vor anderen Urnengängen sind die politischen Parteien bzw. deren Vertreter auch vor der Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober von den Kirchen nach glaubensrelevanten Positionierungen befragt worden. Der Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist erhob dabei die Meinungen zu Themen wie Sonntagsöffnung, Religionsunterricht und Karfreitag - und kommentierte die Antworten von SPÖ, FPÖ, Grünen, ÖVP, Neos und SÖZ auch kritisch. An deklarierte Christen dieser Parteien (mit Ausnahme der als "Migrantenliste" bezeichneten neuen Gruppierung SÖZ, "Soziales Österreich der Zukunft") wandte sich der Chefredakteur der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag", Michael Ausserer, mit großteils sehr persönlichen Fragen.
Superintendent Geist konzedierte den Parteien aufgrund ihrer Antworten stärkeres "Bewusstsein für Nachhaltigkeit", wie er dem Evangelischen Pressedienst epdÖ mitteilte. Anlass zur Sorge gebe, was zum Stellenwert religiösen Lebens in der Großstadt herauskam: So sehe Geist im Zusammenhang mit der Sonntagsöffnung "wirtschaftliche Interessen im Vormarsch, die über das Gemeinwohl gestellt werden könnten". Der Religionsunterricht werde immer mehr in den Hintergrund gedrängt gegen einen "vermeintlich neutralen Ethikunterricht".
Generell verlieh der Superintendent seiner Hoffnung Ausdruck, dass den Worten Taten folgen: "Ich erwarte mir, dass die politisch Verantwortlichen viele ihrer genannten Ziele nicht nur als Lippenbekenntnisse formulieren." Soziale Verantwortung für andere sei mehr denn je nötig, insbesondere für "benachteiligte, leistungsschwächere und an den Rand der Gesellschaft gedrängte Menschen", betonte Geist.
Unterschiede beim Ethikunterricht
Einige markante Positionierungen aus den Antworten der Parteien (alle Stellungnahmen im vollen Wortlaut unter evang.at/wienwahl abrufbar): Die aktuelle Bürgermeisterpartei SPÖ bekennt sich zum freien Sonntag als wichtigen Tag für gemeinsame Aktivitäten und Ehrenämter. Die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen solle allen Kindern in einem eigenen Fach ermöglicht werden, "unabhängig davon, ob ein Kind den Religionsunterricht besucht oder nicht". Zudem sei es Ziel, Wien zur ersten klimaneutralen Stadt zu machen, dabei solle Klimaschutz allen zugutekommen und sozial ausgewogen sein.
Auch die FPÖ spricht sich gegen eine generelle Sonntagsöffnung aus, da dieser Tag "der Familie gewidmet ist". Die Politik müsse "den Import an Armut aus dem Ausland stoppen" und dadurch frei werdende Ressourcen benachteiligten Wienerinnen und Wiener widmen.
Die Grünen plädieren für den arbeitsfreien Sonntag und für Ethikunterricht, Demokratiebildung und Medienkompetenz als "generelle Aufgabe der Schule". Für Benachteiligte sieht die Partei das "verbesserungswürdige" Wiener Modell der Mindestsicherung als "Schritt in die richtige Richtung". Aus Umweltschutzgründen solle es ein kostenloses Öffi-Ticket sowie mehr Radwege geben.
Eine verbesserte Lebenssituation für armutsgefährdete Menschen will die Wiener ÖVP über eine "Entfesselung der Wirtschaft", höhere "soziale Treffsicherheit" etwa bei der Wohnungsvergabe oder eine Reform der Mindestsicherung erreichen. Das Thema Klimaschutz sieht die Volkspartei unter dem Gesichtspunkt der "ökosozialen Marktwirtschaft", die auf der christlichen Soziallehre fuße.
Für eine "Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten" unter Wahrung der Arbeitnehmerrechte sind die Neos. Statt der geltenden Karfreitagsregelung befürworten die Liberalen einen Tausch von Karfreitag und Pfingstmontag. Als wirksamstes Mittel gegen Armut nennen sie Bildung. In Sachen Klimaschutz plädiert die Liste für nachhaltige Entwicklung, verstanden als "Zusammenspiel aus Wirtschaft, Forschung und Umweltschutz".
Das erstmals kandidierende SÖZ möchte die Diskussion um den Karfreitag ausweiten etwa auf muslimische oder jüdische Feiertage. Gegen Armutsgefährdung schlägt die Gruppe die Einführung einer 30-Stunden-Woche, ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie einen Mindestlohn vor.
"Ihre stärkste Gotteserfahrung?"
Nicht den Spitzenkandidaten, sondern überwiegend Kandidaten weiter hinten auf den Listenplätzen der wahlwerbenden Parteien, die sich allesamt "bewusst als christlich bezeichnen und sich um Vorzugsstimmen bemühen", befragte "Der Sonntag". Ausnahme: Bettina Emmerling, die als Nummer zwei auf der Neos-Liste die besten Chancen auf einen Direkteinzug in den Wiener Gemeinderat hat. Petr Baxant (25. auf der SPÖ-Liste), Michael Stumpf (12. bei der FPÖ), Nikolaus Kunrath (13. bei den Grünen) und Jan Ledochowski (33. bei der ÖVP) brauchen wohl einen kräftigen Schub durch Vorzugsstimmen, um einen der 100 Gemeinderatssitze einzunehmen.
An sie alle stellte die Wiener Kirchenzeitung die sehr persönlichen Fragen "Wie und wo prägt der Glaube Ihr (Alltags)-Leben?" und "Ihre stärkste Gotteserfahrung?", wollte aber auch wissen "Was bedeutet Ihr Christ-Sein für die Politik, die Sie machen wollen?" und "Was braucht Wien derzeit besonders?".
"Angst zu nehmen und Zuversicht zu vermitteln" ist laut Petr Baxant christliche und zugleich "gute sozialdemokratische" Politik. Der von der SPÖ forcierte Campus der Religionen in der Seestadt Aspern könne dazu beitragen, dass Wien ein "Leuchtturm des Friedens" und des Zusammenhalts wird.
FPÖ-Kandidat Stumpf sieht christlichen Errungenschaften "durch linke Kräfte immer mehr unter die Räder kommen". Zugleich versteht er Christ-Sein in der Politik als "Dienst an den Menschen". Grün-Kandidat Kunrath bekennt sich als Christ dazu, "Respekt und Toleranz zu leben, und den 'Anderen' entsprechend zu begegnen". In der Menschenrechtsstadt Wien dürfe es kein gegenseitiges Ausspielen der Religionen geben.
"Standhaft bleiben, auch wenn es unpopulär ist", will der praktizierende Katholik Ledochowski als ÖVP-Kandidat: Als Beispiele nannte er die Unterstützung schwangerer Frauen bei der Entscheidung für ihr Kind, den Schutz der traditionellen Familie und auch der Alten und Kranken, "damit nicht Tötung auf Verlangen die einfachste Lösung ist". Neos-Spitzenkandidatin Emmerling ist "stolz" auf ihre christliche Prägung und zugleich überzeugt, dass Religion "Privatsache" ist und Kirche und Staat streng zu trennen sind. In der Corona-Krise brauche es "Zusammenhalt, Zuversicht und Nächstenliebe, über ideologische Grenzen hinweg".
Quelle: kathpress