Theologen: Religionen sind nicht vor Rassismus gefeit
Auch wenn viele Religionen an zentraler Stelle die gleiche Würde aller Menschen betonen, kam und kommt es innerhalb von Glaubensgemeinschaften immer wieder zu Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ethnischer Zugehörigkeit oder Hautfarbe. Selbst biblische Erzählungen hätten zur Legitimierung von Rassismus und Sklaverei oft herhalten müssen, berichtete der Wiener Religionswissenschaftler Gerald Hödl am Montag (19.10.2020) gegenüber dem Portal religion.orf.at. Auch Vertreter aus Islam und Judentum in Österreich sind sich laut dem Bericht bewusst, dass eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geboten ist.
Im Kolonialismus seien die christlichen Konfessionen unterschiedlich mit den Bewohnern der eroberten Gebiete umgegangen, erklärte Hödl: Während sie in katholischen Gebieten meist getauft wurden und dabei jedoch meist wenig Unterweisung in der Religion erhielten, sei man in protestantischen Kolonien davon ausgegangen, Christen dürften eigentlich nicht als Sklaven gehalten werden. "Man brauchte dann aber eine biblische Begründung für die Sklaverei - und fand sie in der Geschichte von Noahs Söhnen Sem, Ham und Jafet", so der Experte.
Wie es in dem Text aus dem Buch Genesis heißt, erblickte Ham seinen Vater einmal nackt, worauf dieser Hams Sohn Kanaan verfluchte. Das alte Israel begründete damit einst die Unterwerfung der Kanaaniter, doch es blieb nicht dabei: "Da die Bibel auch als Geschichtsbuch galt, ging man ist man in der theologischen Auslegung der Welt davon aus, alle Völker dieser Welt würden entweder von Ham, Sem oder Jafet abstammen", sagte Hödl. Hams Hautfarbe war im Gegensatz zu derjenigen seiner Brüder dunkel - was später dazu führte, dass man Menschen dunkler Hautfarbe als minderwertig ansah und davon sogar eine Rechtmäßigkeit der Versklavung und Unterwerfung von Afrikanern ableitete.
Völlig überwunden seien die verhängnisvollen Denkmuster nicht, selbst innerhalb der Kirchen: Neo-Kolonialismus äußere sich bis heute "in Form von vielleicht gut gemeinter, aber letztendlich paternalistischer und rassistischer Infantilisierung von schwarzen Menschen im Zusammenhang mit Spendenkampagnen für Entwicklungshilfeprojekte in so mancher christlichen Pfarrgemeinde", so der Religionswissenschaftler weiter. Noch immer seien bei der Darstellung schwarzer Menschen in der Öffentlichkeit Bilder afrikanischer hungernder Kinder als "Spendenobjekte" zentral.
Wichtige Kritikfähigkeit
Dass heute viele Christen aber auch zur Auseinandersetzung mit Rassismus bereit sind, hob im religion.orf.at-Bericht die Wiener Rassismusforscherin Araba Evelyn Johnston-Arthur würdigend hervor. Kritikfähigkeit sei diesbezüglich "sehr, sehr wichtig", so die Menschenrechtlerin. Religion habe eigentlich eine "befreiende Wirkung", erst recht in jenen Interpretationen, die christliche Theologie "per se als Befreiungstheologie" sähen - und somit als eine Verpflichtung, unterdrückte Menschen "ins Zentrum zu rücken".
Stimmen aus Islam und Judentum verdeutlichen, dass es auch dort Ansätze der Selbstreflexion ihrer Geschichte in Sachen Rassismus gibt, die über die eigenen Diskriminierungserfahrungen hinausreichen. Der Gemeinderabbiner der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, Schlomo Hofmeister, nannte hier den problematischen Umgang Israels mit aus Äthiopien gebürtigen schwarzen Juden. Erst im Vorjahr hatten Tausende äthiopische Juden nach tödlichen Schüssen auf einen Juden mit äthiopischen Wurzeln gegen Polizeigewalt protestiert.
Nadim Mazarweh, Leiter der Kontaktstelle für Extremismusprävention und Deradikalisierung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), erwähnte die Beteiligung von Muslimen an der "schrecklichen Geschichte des Sklavenhandels, der Entführung, der Sklavenjagd, die es in Nord- und Zentralafrika gab". Selbstkritik dafür sei für ihn religiös begründet und sogar "Gottesdienst", sagte Mazarweh.
Quelle: kathpress