"Hermann-Nitsch-Festspiele" im St. Pöltner Dom
Drei Tage lang "Begegnungen mit Musik & Kunst von Nitsch" - man könnte bei der für 6. bis 8. November angekündigten Veranstaltungsreihe im St. Pöltner Dom fast von "Hermann-Nitsch-Festspielen" sprechen, und das zu Ehren des Werks eines gerade in kirchlichen Kreisen nicht unumstrittenen Künstlers.
Am Freitag, 6. November, findet ab 18 Uhr in der Domkirche die Vernissage "Kreuz-Auferstehung" statt. Ausgestellt werden Schüttbilder des 82-jährigen Aktionskünstlers aus der "Schwarzen Serie" von der 40. Malaktion 1997 im ehemaligen Wiener "20er Haus" sowie ein Auferstehungstriptychon, das zuletzt in der Albertina zu sehen war. Dazu liest Schauspielerin Maria Bill Texte von Hermann Nitsch.
Am 7. November kommt es im Festsaal des Konservatoriums für Kirchenmusik der Diözese St. Pölten zu einem hochkarätig besetzten Künstlergespräch. Hermann Nitsch tritt dabei in Dialog mit Diözesanbischof Alois Schwarz und Altlandeshauptmann Erwin Pröll, moderieren wird Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums in Wien. Auf der Website der Nitsch-Foundation wird Schwarz dazu mit dem anerkennenden Satz zitiert, dass "die Sensibilität und Auseinandersetzung mit den großen Lebens- und Menschheitsfragen" im Mittelpunkt des Schaffens von Nitsch stehen. "Hier gibt es Berührungspunkte mit dem katholischen Glauben."
Premiere mit Orgel, Kunst und Tanz
Eine Weltpremiere setzt am Sonntag, 8. November, den Schlusspunkt der dreitägigen Reihe: Die Dommusik St. Pölten lädt zum "Nitsch Orgelmysterium" um 18 Uhr in die Domkirche. "Bei der weltweit erstmaligen Begegnung von Orgel & Darstellender Kunst & Tanz interpretieren Domorganist Ludwig Lusser, Maler Hermann Nitsch und Ausdruckstänzer Renato Zanella auf ungewöhnliche Weise die Bach'sche Passacaglia", kündigte die aktuelle Ausgabe der Kirchenzeitung "Kirche bunt" an. Nitsch wird dabei selbst improvisierend an der Domorgel zu hören sein.
Dieses vielschichtige Opus bildet laut Ankündigung die thematische Grundlage für die beiden folgenden Teile des ungewöhnlichen Konzertabends: Organist Michael Radulescu deute die Passacaglia c-Moll (BWV 582) in einer lebendigen Spielweise, die ermögliche, "den Weg Christi zur Auferstehung durch zeitgemäße neue Ausdrucksmöglichkeiten zu entfalten und weiterzudenken". Ebenfalls mitwirkend: das von Otto Kargl geleitete Jugendensemble der Dommusik unter dem Dirigat von Hermann Nitsch.
Mit den Mitteln des modernen Ausdruckstanzes bringt Renato Zanella das Thema choreographisch vor dem Hintergrund der seit Freitag im Dom ausgestellten Nitsch-Bilder zum Ausdruck.
Initiator des außergewöhnlichen Nitsch-Projektes war nach einem Bericht der "Niederösterreichischen Nachrichten" (NÖN) Dom-Organist Ludwig Lusser, der den Komponisten Nitsch seit Studientagen verehre. Der Künstler selbst verortet seine Musik "im sinnlichen Empfinden, im Vorsprachlichen, im Jubelgeschrei der Auferstehung". Aufgrund coronabedingter Maßnahmen dürfen nur 150 Besucher dem Konzert im Dom beiwohnen. Deshalb wird nun nach Wegen gesucht, das Orgel-Ereignis filmisch zu begleiten und live zu übertragen, hieß es in den NÖN. (Info und Karten: www.nitsch-foundation.com/event bzw. www.orgelplus.at oder E-Mail an l.lusser@kirche.at)
Verhältnis Kirche-Nitsch lange nicht ungetrübt
Die Veranstaltungsreihe im kirchlichen Rahmen stellt einen neuen Akzent einer langen Konfliktgeschichte dar: Das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und dem durch sein explizit "fleischliches" Orgien-Mysterien-Theater bekannt gewordenen Hermann Nitsch war lange Zeit nicht ungetrübt. Gläubige warfen ihm immer wieder Blasphemie vor, auch Tierschützer erregen sich über den Umgang mit geschlachteten Tieren im Rahmen seiner Rituale.
"Ich werde immer dafür eintreten, dass Christen sich gegen Blasphemie nicht auf gewalttätige Weise zur Wehr setzen", betonte der damalige "Kultur-Bischof" Egon Kapellari (Graz-Seckau) einmal in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (SN) über das Werk des Aktionskünstlers. Ausdrücklich kritisierte Kapellari dabei den blasphemisch-pornografischen Umgang mit der Gestalt Jesu im 1974 entstandenen Nitsch-Libretto "Die Eroberung von Jerusalem"; auch gegen einen Teil des anderen Werks von Nitsch habe er starke Einwände. Als Akteur in Sakralräumen der steirischen Diözese wollte der Bischof den Künstler nicht akzeptieren.
Nitsch selbst wandte sich mehrfach gegen die Unterstellung von Blasphemien und von vermeintlicher Opposition gegen das Christentum. "In Wahrheit war das Christentum für mich die letzte noch lebendige Religion, die mich schon als Kind zutiefst berührte und mir damit den Einstieg in den Bereich des Mythischen ermöglichte", erinnerte sich der international renommierte Weinviertler Künstler einmal in einem Interview. Das Christentum verfüge über eine Symbolsprache, die weit über seine "dogmatische Enge" hinausgehe. Die Eucharistie erkenne er heute als "eines der tiefsinnigsten Mysterien, die Religionen je hervorgebracht haben", so Nitsch:
Mein Herz gehört der sinnlichen Wahrhaftigkeit, Üppigkeit des Katholizismus, und ich liebe die katholische Tradition, die leider durch die Schuld der Kirche museal geworden ist.
Quelle: kathpress