Wien: Kontroverse Debatte über Verhältnis Christentum-Islam
Welche Rolle kommt dem Koran aus Sicht der christlichen Theologie zu? Ist er eine Quelle der Offenbarung, die auch für Christen relevant ist? Und was folgt daraus für den interreligiösen Dialog? Diese Fragen standen im Fokus einer kontroversen Debatte unter christlichen Theologen am Dienstagabend in Wien. Die Debatte fand im Rahmen der aktuellen Ringvorlesung "Judentum - Christentum - Islam. Inter- und transdisziplinäre Perspektiven auf den interreligiösen Dialog der drei abrahamitischen Religionen" online und unter Beteiligung von Prof. Kurt Appel und em.Prof. Martin Jäggle seitens der Katholisch-Theologischen Fakultät und Prof. Ulrich Körtner seitens der Evangelisch-Theologischen Fakultät statt.
Ein Konnex zu den Geschehnissen in Wien am selben Tag, bei denen ein offenbar mit dem IS sympathisierender Attentäter vier Menschen erschoss, bestand dabei dezidiert nicht, wie die Veranstalter der Ringvorlesung gegenüber Kathpress betonten. Vielmehr sei es um eine theologische Annäherung aus christlicher Sicht an die Frage nach der Selbstoffenbarung Gottes im Islam gegangen und nicht um Fragen von Religion und Gewalt.
Appel: Gott offenbart sich auch im Koran
Kurt Appel, Professor für Theologische Grundlagenforschung und zugleich Sprecher der Forschungsplattform "Religion and Transformation in Contemporary European Society", warb als Hauptreferent dafür, den Koran aus christlicher Sicht stärker als Quelle der Offenbarung Gottes zu rezipieren. Christen könnten sich der islamischen Tradition und dem Koran im Blick auf diese Frage wohlwollend öffnen, "ohne dass sie dabei ihren eigenen dogmatischen Grundbestand aufgeben müssen", so Appel. Mehr noch würde eine christliche Lektüre des Koran und ein Blick auf den Reichtum der islamischen theologischen Tradition auch ein Anstoß darstellen, das eigene biblische Fundament neu und tiefer zu verstehen.
Die Basis für diese These stelle zum einen der gemeinsame Bezug auf den einen Namen Gottes dar; zum anderen das in Judentum, Christentum und im Islam gleichermaßen geltende Verbot der Nicht-Identifizierbarkeit bzw. der Unaussprechlichkeit des Gottesnahmen sowie die christliche Grundannahme der Geschichtsmächtigkeit Gottes. So verwies Appel etwa auf die 2019 gemeinsam von Franziskus und Großimam Ahmad Al-Tayyeb al Tantawi formulierte Erklärung von Abu Dhabi, in der sich erstmals die Spitzenrepräsentanten zweier großer monotheistischer Religionen im Namen ein und desselben Gottes an die Gläubigen wandten.
Zugleich betonte Appel, dass die christliche Überzeugung vom geschichtlichen Handeln Gottes diesen nicht nur zu einem "untrennbaren Teil der Menschheitsgeschichte" werden lasse, sondern dies auch bedeute, von einem geschichtlichen Handeln und also einer Form der Selbstoffenbarung Gottes in anderen Religionen ausgehen zu müssen.
Körtner: Wirklich denselbe Gott?
Widerspruch kam dazu vom Wiener evangelischen Theologen Prof. Ulrich Körtner. Zwar sei der interreligiöse Dialog allein schon im Blick auf das friedliche Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen unerlässlich - aus theologischer Sicht blieben jedoch zu viele Fragezeichen gerade im Blick auf die zentralen Gestalten Jesus und Mohammed. "Ich betrachte mich im islamischen Sinne schlicht als Ungläubigen. Weder glaube ich, dass Mohammed ein Prophet Gottes war, des Gottes jedenfalls, an den ich glaube, noch bin ich mir sicher, ob Muslime und Christen wirklich an denselben Gott glauben", so Körtner in einer Replik auf Appel.
Judentum und Christentum blieben in der Person Jesu und der Aufnahme jüdischer Schriften bzw. des Alten Testaments in die christliche Bibel bleibend aufeinander verwiesen - im Blick auf den Islam und den Koran sei dies jedoch nicht einfach gegeben, führte Körtner weiter aus: "Im Gegensatz zum Christentum spielt der Wortlaut alttestamentlicher Überlieferung und ihre Rezeption im Koran und in der islamischen Koran-Exegese kaum eine Rolle. Gleiches gilt für die neutestamentliche Überlieferung und ihre Rezeption im Islam." Wo christliche Traditionen im Koran aufgegriffen werden, würden diese dann ein "völlig neues Profil" bekommen und eine Umdeutung erfahren.
Jäggle: "Dialog meint keine Plauderei"
Eine Lanze für den interreligiösen Dialog auch als Ort theologischer Erkenntnis brach indes der emeritierte Wiener Religionspädagoge Prof. Martin Jäggle: Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) habe die Kirche einen entscheidenden Paradigmenwechsel vollzogen: weg von einer Konfrontation mit der Welt hin zu einer dialogischen Offenheit auch im Umgang mit anderen Religionen. Dieser Paradigmenwechsel könne gar nicht hoch genug geschätzt werden auch im Blick auf seine theologischen Implikationen: "Denn Dialog bedeutet ja keine Plauderei, kein Schwätzen, sondern gemeinsam der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen", so Jäggle. Dies sei ein komplexes und anspruchsvolles Unternehmen.
Im Blick auf den Islam bedeute dies, diesen angesichts des geschichtlichen Handelns Gottes im Dialog als Ort der Offenbarung Gottes anzuerkennen und gemeinsam im interreligiösen Dialog voneinander zu lernen: "Ich gehe davon aus, dass wir mit Muslimen und an Muslimen lernen können", sagte Jäggle.
(Informationen und Anmeldung zur Ringvorlesung: https://pt-ktf.univie.ac.at/studium/fakultaetenschwerpunkt-ird/ringvorlesung)
Quelle: kathpress