
50 Jahre Befreiungstheologie: Neues Buch über Gutierrez-Klassiker
Er gilt als Leitfigur der lehramtlich umstrittenen, gleichwohl gerade in Lateinamerika überaus erfolgreichen "Theologie der Befreiung": der 1928 in Lima geborene Theologe, Priester und Ordensmann Gustavo Gutierrez. Ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen seiner inzwischen zum Standardwerk avancierten "Teología de la Liberación", die der gesamten Bewegung auch ihren Namen gab, ist nun ein neuer Sammelband in Reihe "Salzburger Theologische Studien interkulturell" (Tyrolia Verlag) erschienen, der dem "bleibenden Impuls eines theologischen Klassikers" nachspüren möchte. 16 Theologinnen und Theologen beleuchten darin die Wirkungsgeschichte der "Teología de la Liberación" nach, die bis heute in 13 Sprachen übersetzt wurde.
In ihrem Vorwort schreiben die Herausgeber Michelle Becka und Franz Gmainer-Pranzl (Leiter des herausgebenden Zentrums Theologie Interkulturell und Studium der Religionen an der Universität Salzburg), Gutierrez habe "eine weltweite Diskussion über den Zusammenhang von religiösem Heil und gesellschaftlicher Befreiung" angestoßen. Der heute 92-jährige Peruaner habe sich als "interdisziplinär orientierter, theologisch kompetenter, soziologisch versierter und spirituell verwurzelter Denker von Format" erwiesen. Weil Gutierrez die europäisch-akademische Art und Weise der Theologie kritisiert habe, sei die daraus entstandene internationale Debatte "heftig und grundsätzlich" geworden. Der Sammelband geht hauptsächlich auf eine Würzburger Tagung von 2019 zurück.
Frucht des Jahres 1968
Die "Teología de la Liberación" geht zurück auf einen Vortrag von Gutierrez im Juli 1968 im Vorfeld der Zweiten Generalversammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe (Medellín). In vier Teilen legte Gutierrez darin eine breite Gesellschaftsanalyse und Glaubensreflexion vor, die von Soziologie über Theologie, Politik, kirchlicher Praxis bis hin zu spirituellen Fragen reichte und dabei das Verhältnis von religiösem "Heil" und gesellschaftlicher "Befreiung" beleuchtet. Den roten Faden bildet dabei die Überzeugung, dass Heil und Befreiung nicht ohne die Verknüpfung mit der Realität von Armut und Unterdrückung zu denken sind und dieses Verhältnis nicht folgenlos auch für die theologischen Disziplinen bleiben dürfe.
Die Chefin des deutschen Katholisch-Theologischen Fakultätentages (KThF), die Tübinger Professorin Johanna Rahner, betont in einem Beitrag für die deutsche Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), die Befreiungstheologie habe zu "exemplarischen Verschiebungen der Wahrnehmung von Methoden, Denkmodellen, Sprach- und Wissenschaftsdiskursen" geführt, die vor einem halben Jahrhundert "vielleicht provokativ erschienen sind, heute aber zum Allgemeingut gehören". An dem von Gutierrez angestoßenen Perspektivenwechsel "arbeiten sich Theologie und Kirche indes bis heute ab", so Rahner.
Gutierrez interdisziplinär ausgebildet
Der heute 92-jährige Gustavo Gutierrez wurde am 8. Juni 1928 in Lima geboren. Er studierte in Lima, Löwen und Lyon Medizin, Philosophie, Psychologie und Theologie. Lange lehrte der Priester als Professor an der Katholischen Universität in Lima. In den vergangenen Jahren arbeitete er - auch kritisch - die Geschichte und Spiritualität der Befreiungstheologie auf.
Während Rom Mitte der 1980er-Jahre gegen die Befreiungstheologen Leonardo und Clodovis Boff vorging, lehnte die Peruanische Bischofskonferenz 1984 Maßnahmen gegen Gutierrez ab. Ab 1990 wurden seine Schriften von der Glaubenskongregation und den peruanischen Bischöfen untersucht, ohne dass es zu Konsequenzen kam. Er selbst räumte "Übertreibungen, sogar einige Irrtümer" der Befreiungstheologie ein. Wiederholt distanzierte er sich vom Marxismus. 1999 trat Gutierrez dem Dominikanerorden bei. Er erhielt Dutzende Ehrendoktortitel und wichtige internationale Auszeichnungen.
(Das Buch "Gustavo Gutiérrez: Theologie der Befreiung (1971/2021). Der bleibende Impuls eines theologischen Klassikers" wurde von Michelle Becka und Franz Gmainer-Pranzl herausgegeben. Es ist in der Reihe "Salzburger Theologische Studien interkulturell" im Tyrolia-Verlag erschienen und kostet 32 Euro)
Quelle: kathpress