Theologe: Hl. Josef "Mann der zweiten Reihe, der Ruhe bewahrte"
Als attraktiven Heiligen für die Gegenwart sieht der Theologe Jozef Niewiadomski den heiligen Josef: Der Nährvater Jesu und Ehemann der Gottesmutter Maria liefere Ansätze für ein neues Männer- und Vaterbild, ermutige zu kreativen Lösungen für Probleme, die von äußere Gegebenheiten verschuldet sind, und lenke den Blick auf Menschen fernab des Rampenlichts der Gesellschaft. Das erklärte der emeritierte Universitätsprofessor für Dogmatik an der Universität Innsbruck am Donnerstag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Anlass gab das von Papst Franziskus ausgerufene "Jahr des heiligen Josef", das mit dem am Freitag begangenen Hochfest des Kirchenpatrons seinen vorläufigen Höhepunkt erlebt.
Die Tradition der Ausrufung eines besonderen Jahres bezeichnete der Theologe als einen im säkularen Leben ebenso geläufigen Vorgang: "Auch die UNO ruft besondere Jahre oder Tage aus und rücken damit besondere Themen in den Vordergrund." Die Kirche knüpfe durch heilige Jahre einerseits an die Ablass-Tradition an, die der Theologe als "Hilfe beim inneren Generalputz" übersetzte. Zugleich stehe dahinter immer auch die Absicht, mit dem Fokus auf eine Gestalt oder Thematik "einen kreativen Impuls oder Kontrapunkt in die Gegenwartsmelodie zu bringen". Parallelen gebe es auch zwischen den Heiligenikonen und den "icons" moderner Stars und Celebritys, die aber schriller, kurzlebiger und platter seien.
Ein "Kontrapunkt" sei der heilige Josef hier vor allem durch sein "Zurücktreten in die zweite Reihe hinter Jesus und Maria", befand der Innsbrucker Dogmatiker, der hier auf einen Ausspruch von Leonhard Bernstein verwies: "Als der Komponist und Dirigent einmal gefragt wurde, welches Instrument das wichtigste sei, antwortete er: Die zweite Geige. Denn jeder im Orchester möchte die erste Geige spielen, die viel Prestige bedeutet. Doch jemand für die zweite Geige zu finden, ist schwer. Dabei ist sie es, die für Harmonie sorgt." Dies sei auch Josefs Botschaft in der "Ego-Gesellschaft, in der jeder glaubt, einmalig und unverwechselbar zu sein", ebenso aber auch in der kirchlichen Kultur, wo genauso um das Tonangeben gerittert werde.
Gottes Verstecker
Einen weiteren wichtigen Aspekt sieht Niewiadomski in der Bezeichnung von Josef als "Schatten des himmlischen Vaters" im Schreiben "Patris corde", das dabei auf einen Josefs-Roman des polnischen Schriftstellers Jan Dobraczynski verweist. Angesprochen habe der Papst damit Josefs Beschützerrolle für Jesus, doch sei auch eine andere Interpretation zulässig: Josef habe auch die Aufgabe gehabt, "die göttliche Allmacht des Vaters zu verbergen", wodurch erst Jesus als normaler Mensch aufwachsen konnte. Der Kirche täte es gut, den Fokus darauf zu legen, empfahl der ebenfalls aus Polen stammende Dogmatiker: "Wäre es nicht eine heilsame Korrektur gerade im Kontext der Missbrauchsdebatte, sich bewusst zu machen, dass kirchliche Amtsträger, die oft als Gottes Repräsentanten hochstilisiert wurden, das wahre Gesicht der Göttlichkeit mitunter verdecken?"
Josef werde in der Bibel stets in Zusammenhang mit "extremen Frust-Ereignissen" geschildert: Niewiadomski nannte hier u.a. die skandalöse Schwangerschaft Mariens, die Wanderung nach Bethlehem kurz vor Geburtstermin, sowie die Flucht nach Ägypten. Josef sei an den Rand der Verzweiflung geraten, habe sich aber trotzdem nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern habe kreative Lösungen gefunden und bei der Umsetzung die nötige Stärke bewiesen. Hilfreich war ihm dabei die Traumstimme eines Engels. Niewiadomskis Deutung: "Biblische Engel sind teils außergewöhnliche Gestalten, teils aber auch normale Menschen wie etwa der Engel Raphael in der Tobias-Geschichte des Alten Testaments. Bei Josef handelt es sich um einen Boten, der ihn zu bestimmter Zeit aus der Verbitterung befreit und auf neue Gedanken bringt."
Dankbare Projektionsfläche
Freilich: Direkt überliefert ist in der Bibel kein einziges Zitat von Josef, er handelt bloß. Ähnlich wie andere Figuren der Heilsgeschichte, biete der Nährvater Jesu laut Niewiadomski somit eine "Rahmen, in den legitime Ängste und Hoffnungen der jeweiligen Epoche projiziert werden", was stets auch dankbar genutzt worden sei: Etwa im industriellen Zeitalter, als man den Handwerker zum Arbeiterschutzheiligen machte. Auch das von Josef verkörperte Rollenbild, in vergangenen Zeiten Spiegel damaliger Klischees, wandelte sich. Niewiadomski verwies hier auf eine syrische Ikone, bei der sich Josef um das Jesuskind kümmert, während Maria schläft. Sankt Josef eigene sich somit auch dazu, "um in der Genderdebatte, die bisher sehr einseitig als Suche nach einem neuen Frauenbild gelaufen ist, ein neues Männerbild zu entwickeln".
Vorsichtig äußerte sich Niewiadomski allerdings zu der von der kirchlichen Tradition vertretenen Jungfräulichkeit Josefs, dessen Beziehung zu Maria den Begriff "Josefsehe" prägte. Sexuelle Enthaltsamkeit habe durchaus einen Wert, müsse aber der Erfahrung des konkreten Menschen entsprechen. Sich darauf begründende Lebensentwürfe und Gelübde eigneten sich für jene Menschen, für die Sexualität "etwas, das sie nicht ausleben möchten" sei. Die Kirche habe es jedoch bisher verabsäumt, Sexualität lehramtlich uneingeschränkt und noch vor jeder moralischen Bewertung zu bejahen, kritisierte der Innsbrucker Dogmatiker. Die früher mitunter als höherwertige Lebensform dargestellte Josefsehe sehe er daher als "Zerrbild", das sich kaum dazu eigene, junge Männer die eigene Rolle finden zu lassen.
Patron der Sterbenden
Weniger missverständlich sei die Botschaft Josefs als "Patron der Sterbenden" hingegen in der Debatte um Suizidbeihilfe, sagte der Theologe. Zu der von Sterbehilfe-Befürwortern vorgebrachten Selbstbestimmung liefere der Nährvater Jesu die Gegenposition: "Josef musste sich in äußere Zwänge fügen, eigene Pläne ständig revidieren - und ist dadurch glücklich geworden." Auch im gegenwärtigen Kontext verschleiere alles Reden von Autonomie, dass selbst autonome Entscheidungen nur im Rahmen vorgegebener Möglichkeiten getroffen werden, erklärte Niewiadomski. "Dass knallharte Geschäftsinteressen unser Leben bestimmen, zeigen uns auch viele Entscheidungen in der Corona-Pandemie." Das größte Widerfahrnis im Leben sei schließlich neben der Geburt der Tod und mit ihm die Erkenntnis, "dass wir gebrechlich und sterblich sind".
Quelle: kathpress