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Corona und christlicher Glaube: Zwischen Tiefgang und Erosion

"Die Furche" interviewt Wiener Theologin Regina Polak und St. Virgil-Rektor Franz Gmainer-Pranzl über Auswirkungen der Pandemie auf Glaubensfragen und Glaubenspraxis

02.04.2021

Der christliche Glaube als Weltanschauung und gelebte Praxis bewegt sich in Zeiten von Corona zwischen Erosion und Tiefgang. Verschiedene Aspekte davon haben die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak und der Salzburger Theologe und Rektor des Bildungszentrums St. Virgil, Franz Gmainer-Pranzl, in einem Interview für die Osterausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" beleuchtet. Die Pandemie sei eine Zäsur, meinte etwa Gmainer-Pranzl: "Man kann nicht einfach so dahinglauben, wie wenn nichts wäre, man muss sich umtreiben lassen von den Fragen, sich stören lassen." Etwa die Theodizeefrage nach der Allmacht Gottes angesichts des unverschuldeten Leids. "Wie kann Gott das zulassen?" frage nur jemand, der mitten im Glaubensprozess steht, "weil es ihm nicht egal ist, wie es den Menschen geht".

 

Gmainer-Pranzl räumte zugleich ein, die Frage nach dem Leid der Menschen könne "existenziell auch vergiften und verbittern". Gemütlich im Bürosessel sitzend sei es leicht zu erklären: Diese Frage muss man aushalten. Der Theologe erwähnte einen Radiobericht über eine um ihre Existenz bangende Frau, deren Mann Krankenpfleger war und in Spanien an Covid-19 verstarb. "Da kann ich jetzt nicht sagen: Sie muss sich dieser Frage stellen", gestand Gmainer-Pranzl, da brauche es "eine ganz andere Kategorie", nämlich Sympathie (dt.: "Mit-Leiden") im wahrsten Sinn des griechischen Worts.

 

Warum lässt der Mensch den Menschen leiden?

 

Die als Philosophin ausgebildete Regina Polak sprach sich dafür aus, die "Anthropodizee"-Frage noch vor der Theodizeefrage zu stellen: Warum lässt der Mensch den Menschen leiden? Es sei ein "Ausweichmanöver", eine Katastrophe Gott zu überantworten, ohne zuvor gründlich geprüft zu haben, worin denn die Verantwortung des Menschen dabei besteht. Beim Beispiel der Frau des spanischen Krankenpflegers muss man laut Polak etwa fragen: "Wo sind denn da die Mitmenschen?"

 

Dasselbe gelte für den Corona-Kontext insgesamt: Die Pandemie sei nicht nur eine Naturkatastrophe, sondern das Virus habe menschengemachte Ursachen im Umgang mit der Umwelt, mit der Mobilität bzw. durch eine zerstörte Grenze zwischen Menschen und Tieren, wies die Theologin hin. Wenn wie derzeit insbesondere die Ärmeren weltweit besonders leiden, mache das eine schon davor bestehende Ungleichheit sichtbar. "Also vor der Fragen nach Gott bitte die Frage nach dem Beitrag des Menschen stellen", so Polak.

 

Sie halte es allerdings auch für "unbarmherzig, alles dem Menschen aufzubürden". Wenn der Mensch zu abgrundtiefer Bösartigkeit - sichtbar geworden etwa in der Schoa - fähig sei, "wieso sind wir dann so fehlkonstruiert?", fragte Polak. Hier stelle sich dann doch wieder die Gottesfrage.

 

Glaube - ein "Minderheitenphänomen"?

 

Auf die Frage, ob aktuell Gott stärker ins Blickfeld rücke oder das Gegenteil der Fall sei, antwortete Polak: Für Österreich seien bisher keine signifikanten Änderungen des religiösen Selbstverständnisses zu beobachten. Sie vermute, dass es bei sehr gläubigen Menschen sein könne, dass der Glaube tiefer wird; andere gerieten wohl in eine Krise durch die Frage, warum Gott das zulassen kann. "Beides habe ich erlebt", so Polak. Hierzulande seien tiefgläubige Menschen aber kein Mehrheitsphänomen mehr, auch große Glaubenskrisen ein "Minderheitenphänomen". Religion sei für die meisten Menschen nicht mehr der wichtigste Lebensbereich.

 

Gmainer-Pranzl erachtet Corona als "so etwas wie einen Beschleuniger", der Dinge vorantreibe, die sonst noch Jahre gebraucht hätten: "Der Glaube ist für eine beträchtliche Anzahl von Menschen bedeutungslos geworden." Eine kleine Gruppe habe den Ausfall von Gottesdiensten beklagt, "aber einer großen Gruppe, die vorher die Gottesdienste besucht hat, gehen diese gar nicht so ab", so der Salzburger Theologe. Früher habe etwa ein Todesfall den Anstoß dazu gegeben, über Religiöses nachzudenken; heute sei es "selten geworden, dass jemand durch solch eine Erschütterung in seiner Religiosität wieder wach wird".

 

Über Gott "reden" im Handeln

 

Regina Polak ortete ein verbreitetes "Schweigen über Gott" - auch in der Kirchenleitung -, das auch teilweise berechtigt sei: Von gesicherten Lebensumständen aus lasse sich das Leid Arbeitsloser, Erkrankter, von Todesfällen Betroffener usw. "nicht mit naiver Gottesrede zukleistern". Andererseits spiele aus einer theologischen Sicht Gott überall eine Rolle, sagte Polak, "man müsste also über Gott sprechen", allerdings getränkt mit Erfahrung und der Verbindung mit karitativer Praxis. Im während der Corona-Krise außerordentlichen Engagement in den Gemeinden der Erzdiözese Wien erkennt die Theologin "auch eine Rede von Gott: Solidarität, Beistand, Helfen".

 

"Von Gott reden heißt eben auch handeln", schloss sich Gmainer-Pranzl an. Gott müsse ein "Tätigkeitswort" werden. "Biblische Gottesrede ist ganz klar eine neue Lebenspraxis", so der Theologe. "Corona wäre die Chance, diese neue Lebenspraxis wieder sichtbar zu machen."

 

 

Quelle: kathpress

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