Orden suchen neues Verständnis von Arbeit und Zeit
Das sich verändernde Verständnis von Arbeit und wie eine künftige Arbeitswelt bzw. sinnstiftende Arbeit aussehen sollte, standen im Mittelpunkt der Wirtschaftstagung 2021 der heimischen Ordensgemeinschaften. Laut Prof. Hans-Walter Ruckenbauer vom Institut für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz nimmt die heutige Leistungsgesellschaft "die Zeit in Geiselhaft", sie fessle sie an die Arbeit und lasse keine andere Zeitform mehr zu.
Ruckenbauer kritisierte den zunehmenden Leistungsdruck. Und auch wenn nicht gearbeitet wird, etwa bei Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder anderen prekären Situationen, sei stets ein Leistungsdruck vorhanden, zumindest psychisch. Auch Pausen seien letztlich Phasen der Arbeitszeit.
Dagegen sei die "Zeit des Festes" weitgehend gesellschaftlich verloren gegangen. "Wenn aber die Grenze zwischen profaner und heiliger Zeit aufgehoben wird, bleibt letztlich nur das Banale, das Alltägliche übrig, nämlich die Arbeitszeit und ihre Pausen", so Ruckenbauer. Arbeitszeit werde sogar in den Urlaub oder in den Schlaf mitgenommen. Studien zeigten, dass Schlafstörungen aufgrund von Corona zugenommen haben, denn auch die Erholung diene lediglich der Regeneration der Arbeitskraft. Alles gehorche einer Logik der Effizienz.
Laut Ruckenbauer braucht es eine "Zeitrevolution" - von der "Ich-Zeit" hin zu einer "Zeit des Mitmenschen", eine Zeit, die man jemandem anderen gibt bzw. schenkt. Solche Geschenke wie Geschichten erzählen, Gebete, Liebkosungen, oder auch Zeremonien ließen sich nicht einem solchen Leistungsdruck unterwerfen und beschleunigen. Der Philosoph wies darauf hin, dass Ordensgemeinschaften per se ein Gespür hätten für "Entschleunigungsprojekte und -angebote", z. B. in Bildungshäusern. Ordensleute würden zudem mit ihrer gewählten Lebensform eine Alternative "zur beschleunigten Zeit" anbieten.
Chancen und Gefahren von Homeoffice
Der Wiener Psychologe Prof. Christian Korunka - seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. neue Arbeitswelten wie Homeoffice - wies auf die veränderten Formen von Arbeit hin. "Wir können arbeiten, wo und wann wir wollen." Neue Kommunikationstechnologie würden dabei helfen. Homeoffice werde jedenfalls für viele bleiben, zeigte sich Korunka überzeugt. - Mit Chancen und Gefahren.
Untersuchungen hätten gezeigt, dass im Homeoffice konzentrierter gearbeitet werde, "es gibt weniger Störungen und Unterbrechungen" - solange die Arbeitsbedingungen dies zulassen. Viele fühlten sich im Homeoffice wohl, aber es gibt laut Korunka auch Schattenseiten: "Arbeit wird intensiver, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt und die Gefahr der sozialen Vereinsamung nimmt zu." Menschen bräuchten sozialen Austausch. Und: "Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen im Homeoffice weniger berufliche Entwicklungen haben, schlichtweg weil sie nicht sichtbar sind."
Videokonferenzen könnten auf Dauer nicht die persönliche Interaktion ersetzen, so der Psychologe, denn: "Es geht so unglaublich viel verloren. Videokonferenzen sind begrenzt auf Sachinformationen und Gesichter. Jeder lacht für sich allein. Wir schauen in der Kamera aneinander vorbei."
Auch Führen über Distanz sei eine große Herausforderung, "weil gerade Führung persönliche Kontakte braucht und es noch wenig Erfahrung damit gibt". Hier plädierte Korunka prinzipiell dafür "von der Kontrolle zu Vertrauen kommen".
Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung
Die Wiener Soziologin Prof. Michaela Pfadenhauer sah in ihren Ausführungen die coronabedingte Gefahr der Spaltung der Gesellschaft und eine Veränderung kommunikativer Prozesse. Soziologisch interessant sei auch die Frage, wie Corona das allgemeine Verhalten nachhaltig verändere, etwa den Verzicht auf Händeschütteln, Umarmen und Küssen oder das Schlangestehen vor Geschäften. Zudem sei das "Private" plötzlich Gegenstand öffentlichen staatlichen Interessens geworden. "Wir sprechen von Kontaktverfolgung, einer Corona-App, einer meldepflichtigen Krankheit, Veränderungen im Sozialverhalten und einem Vernadern." Die Soziologin wollte deshalb auch nicht von einer künftigen Post-Corona-Gesellschaft sprechen, sondern von einer "Mit-Corona-Gesellschaft, in der wir leben werden.
Eröffnet wurde die Tagung, die online abgehalten wurde, von Erzabt Korbinian Birnbacher, dem Vorsitzenden der Österreichischen Ordenskonferenz, und Sr. Christine Rod, der Generalsekretärin der Ordenskonferenz. Rund 70 Ordensvertreterinnen und -vertreter nahmen an der Tagung teil.
Quelle: kathpress