Schönborn: Nicht über gescheiterte Ehen urteilen
Kardinal Christoph Schönborn hat zu Zurückhaltung beim Urteil über Scheidungen anderer aufgerufen. Durch die Scheidung seiner eigenen Eltern habe er gelernt, das ihm ein solches Urteil nicht zustehe, schrieb der Wiener Erzbischof in seinem Evangelienkommentar in der "Krone" (Sonntag). Es gebe wohl keine allgemeingültige Antwort auf die Frage, ob Eltern in jedem Fall zusammenbleiben sollten, wenn sie sich im Dauerkonflikt befänden und ihre Beziehung zu einer "wechselseitigen Lebensverbittungsanstalt" geworden sei, wie dies der österreichische Dramatiker Johann Nestroy einmal formuliert habe.
Jesus habe, als von ihm ein Urteil über eine Scheidung gefordert wurde, seinen Fragestellern die Gegenfrage nach dem jüdischen Scheidungsrecht gestellt, erinnerte Schönborn. Dort sei ein gewisser Schutz der Frau vor der Willkür des Mannes festgeschrieben. "Es braucht ein Scheidungsverfahren, das die Rechte der Frau nicht vergisst", betonte der Kardinal.
Dies allein sei Jesus aber noch zu wenig gewesen. Scheidungsregeln wären nicht notwendig, "wenn ihr mehr Herz füreinander hättet", zitierte Schönborn aus den Evangelientexten. Der Plan Gottes am Anfang der Schöpfung sei die gegenseitige Bestimmtheit von Mann und Frau. Gelinge deren Ehe, könne eine "neue gemeinsame Wirklichkeit" entstehen, die dann "etwas vom Schönsten, was es in dieser leidvollen Welt geben kann" sei. Diese vor Gott miteinander eingegangene Einheit sei viel mehr als ein Vertrag auf einem Stück Papier und dürfe vom Menschen nicht getrennt werden.
Oft gelängen Ehen allerdings nicht, gab Schönborn zu bedenken. Entscheidend sei dann, dass sich beide Elternteile gegenüber ihren gemeinsamen Kindern nicht abfällig über den anderen äußerten. "Bemüht euch, den anderen vor euren Kindern nicht schlechtzumachen. Sie werden es euch immer danken", appellierte Schönborn. Eltern dürften Kinder auch in heftigen Streitigkeiten "nie, nie, nie als Geisel" gegen den anderen Ehepartner verwenden, schärfte der Kardinal ein und verwies dabei auf gleichlautende Forderungen von Papst Franziskus. Kinder sollten nicht die Last einer Trennung tragen müssen.
Schönborn war selbst vaterlos aufgewachsen, nachdem sein Vater Hugo-Damian (1916-1979) seine Mutter Eleonore (*1920) und die vier gemeinsamen Kinder nach glückloser Ehe verlassen hatte. Die beiden schieden sich 1958 - Schönborn war damals 13 - einvernehmlich. Sein Schicksal verlieh dem heutigen Wiener Erzbischof viel Einfühlungsvermögen für Scheidungsfamilien, das knapp sechs Jahrzehnte später bei seinem Einsatz für diese Gruppe bei den beiden Bischofssynoden zur Familie in Rom 2014 und 2015 zu tragen kam.
Quelle: kathpress