Glettler erschüttert über Missbrauchsskandal in Frankreich
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler hat sich erschüttert über den kirchlichen Missbrauchsskandal in Frankreich gezeigt. "Das ist eine wirkliche Tragik, eine beschämende Altlast. Ich war ein Jahr lang als Kaplan in Paris und habe die Kirche dort als sehr offen, spirituell und sozial engagiert erlebt. Aber dieses dunkle Kapitel ist in Frankreich offensichtlich noch nicht aufgearbeitet worden", so Glettler im Interview mit dem Talk-Format "Tirol Live" der Tiroler Tageszeitung (TT).
Laut Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission gab es in der Katholischen Kirche in Frankreich seit 1950 geschätzt 216.000 minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester und Ordensleute. Nimmt man Laien und Kirchenmitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen, Schulen, Pfarren und Katechese hinzu, so kommt die Kommission laut den Hochrechnungen sogar auf geschätzt 330.000 Opfer.
Auf Österreich angesprochen erinnerte der Bischof daran, dass 2010 die unabhängige Opferschutzkommission eingerichtet wurde. "Diese externe, nicht innerkirchliche Beurteilung der Fälle ist zum Segen geworden", so Glettler. In der Diözese Innsbruck wurde 2012 eine Stabsstelle für Kinder- und Jugendschutz eingerichtet sowie eine externe Ombudsstelle und Opferschutzkommission. Auch wenn ca. 80 Prozent der Fälle Jahrzehnte zurückliegen, müsse alles auf den Tisch, betonte der Bischof. Nachsatz: "Was nicht ans Licht kommt, kann nicht heil werden."
Auch im Bereich der Prävention sei die Kirche sehr bemüht. Bereits vor zehn Jahren sei ein umfangreiches Präventionskonzept mit sehr hohen Standards erarbeitet worden, das nach wie vor konsequent umgesetzt werde.
"Offene und solidarische Weggemeinschaft"
Zum vom Papst angestoßenen synodalen Prozess in der Kirche meinte Glettler: "Papst Franziskus möchte die gesamte Kirche einbinden, sie soll gemeinschaftlicher und partizipativer werden. Und ihrem Auftrag mit Freude nachkommen." Es gehe "um ein wirkliches Zuhören - was ist der Puls der Zeit, Sehnsucht und Verwundung der Menschen".
Im Blick auf die Diözese Innsbruck sprach der Bischof die dringliche Frage aus, "ob es uns als Kirche gelingt, Gemeinschaft in Vielfalt zu leben und Menschen von heute eine spirituelle Beheimatung anzubieten". Es sei der Herzenswunsch des Papstes, "dass die Kirche eine offene und solidarische Weggemeinschaft lebt". Dazu ist ihr das nötige "Herzfeuer" des Glaubens geschenkt worden, so Glettler.
Frauendiakonat und Klimaschutz
Zum Diakonat der Frau und der Weihe von bewährten Männern - "viri probati" - befragt, sagte Bischof Glettler, dass er sich beides vorstellen könne. Das Diakonat der Frau wäre ein erster Schritt. Diese und ähnliche Fragen würden in den synodalen Prozess einfließen. Dennoch bitte er darum, "in der aktuellen Phase Priester mit einer zölibatären Lebensweise überhaupt noch zu wollen. Junge Menschen brauchen eine Ermutigung." In der Leitung der Seelsorgeräume gehe es um einen guten Mix von Priestern und qualifizierten Laien. Angesichts einer kollektiven Ermüdung brauche es dringend ein Zeugnis der Zuversicht.
Der Bischof rief im "Tirol Live"-Talk auch einmal mehr zum entschiedenen Klimaschutz auf. Mit der Ökosteuer sei ein Versuch am Tisch. "Leider glauben immer noch zu viele, dass irgendwie alles an uns vorübergehen wird. Ein fataler Irrtum." Es benötige auf allen Ebenen "eine geistvolle Entschlossenheit, um die Wende zu schaffen".
Neben einer längst fälligen Veränderung des eigenen Lebensstils brauche es natürlich auch eine "starke Politik, die uns die nötigen Schritte zumutet". Christliche Spiritualität könne in diesem Umkehr-Prozess einen wichtigen Beitrag leisten, zeigte sich Glettler überzeugt: "Wichtig ist die Anschubkraft und ein langer Atem. Gott Heiliger Geist schenkt uns die nötige Weite des Denkens und ebenso die nötige Herzensenergie."
Der Bischof kritisierte zudem eine zu defensive Flüchtlingspolitik in Österreich. "Die konsequente Abwehr von Flüchtenden darf nicht das letzte Wort sein. Auch wenn es nicht in den Medien ist, besteht das Flüchtlingselend an den europäischen Außengrenzen weiterhin." Ein Resettlement-Programm wie 2015 in der Syrien-Krise benötige es jetzt auch für Afghanistan. Eine europäische Anstrengung wäre notwendig, so der Bischof.
Quelle: kathpress