"Eine Zäsur im Kirchenjahr"
Theologen suchen neue Zugänge zu Allerseelen
"Eine Zäsur im Kirchenjahr"
Theologen suchen neue Zugänge zu Allerseelen
Das Fest Allerseelen, das die Katholische Kirche am heutigen 2. November feiert, steht in einem engen Konnex zum vorausgegangenen Feiertag Allerheiligen (1. November) - und stellt doch so etwas wie eine "Zäsur im Kirchenjahr" dar: Darauf hat der Wiener Dogmatik-Professor Jan-Heiner Tück im Theologie-Podcast "Diesseits von Eden. Gespräche über Gott und die Welt" hingewiesen: "Allerseelen setzt im Kalender eine Zäsur, eine Unterbrechung, die dem Schmerz und der Trauer um die Verlorenen Raum gibt und damit auch dem Imperativ unserer immer mehr funktionalistischen Gesellschaften einen wohltuenden Kontrapunkt setzt."
Allerseelen verdeutliche, dass Kirche vor allem eine "Erinnerungsgemeinschaft" darstelle: Mit der Erinnerung an die Toten gehe nämlich in der biblischen Religion die Hoffnung einher, "dass am Ende nicht der Ozean des Nichts steht, in denen alles ein mündet, sondern dass es diese Verheißung gibt, an der 'Communio sanctorum' [Gemeinschaft der Heiligen, Anm.] Anteil zu gewinnen." Der Glaube beschränke sich daher nie nur auf das Hier und Jetzt, kenne eine "Memorial-Kultur (...), die in Allerseelen auch in rituellen Praktiken zum Ausdruck kommt: Gräberbesuch, Segnung der Gräber, Kerzen anzünden, um dieser Verheißungsdimension auch Ausdruck zu verleihen."
Religionsgeschichtliche Verbindungslinien zieht indes die Grazer Religionswissenschaftlerin Prof. Theresia Heimerl: "Die Erinnerung an die Toten gehört sicher zu den ältesten und weit verbreitetsten Formen religiöser Kultur. Feierliche Bestattungen, die uns Archäologen für längst untergegangene Kulturen von vor 5.000 Jahren oder noch länger zurück zeugen davon, dass die Frage nach dem Tod, dem Umgang mit den Toten und damit verbunden nach dem weiteren Schicksal eine anthropologische Konstante darstellt."
Auch wenn Allerseelen nicht zu den ältesten Festen gehöre, so spiegle es doch "ganz unvermittelt wie wenig andere christliche Feste archaische Vorstellungen und Bedürfnisse" wider: "Ob die Familienfeiern am Tag der Toten auf den Friedhöfen in Mexiko oder die für die Verstorbenen abgestellten Speisen im ländlichen Kärnten - im Allerseelenfest wirkt die vorchristliche Vorstellung nach, dass zumindest einmal im Jahr die Welten der Toten und der Lebenden durchlässig sind und die Verstorbenen noch so sehr zu uns gehören, dass sie als Geister ihre Familie besuchen kommen."
Auf diese "bleibende Verbindung zwischen Lebendigen und Toten" verweist auch der Innsbrucker Theologe Prof. Johannes Hoff: "In der griechischen Antike galt die Sorge um den eigenen Tod als Anfang der Weisheit. Denn es gibt keine Erkenntnis ohne Selbsterkenntnis und keine Selbsterkenntnis ohne Einsicht in die eigene Endlichkeit oder Einsicht in das, was uns zu verletzlichen Wesen werden lässt. Die Sorge um sich ist dabei unentwirrbar verschränkt mit der Sorge um den Tod anderer Menschen."
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Quelle: Kathpress