Caritas: Lage der Menschen in Syrien und im Libanon "katastrophal"
Nach dem Abflauen der Kampfhandlungen in Syrien wird nun die sozioökonomische Krise in Folge des jahrelangen Bürgerkriegs immer deutlicher. "Die Versorgungssituation der Menschen ist katastrophal. 80 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, und die lokale Währung ist im Keller", berichtete der Generalsekretär für internationale Programme der Caritas Österreich, Andreas Knapp, am Donnerstag im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress. Knapp befindet sich derzeit in der syrischen Hauptstadt Damaskus, von wo aus er noch bis Samstag verschiedene Hilfsprojekte und Partner der österreichischen Caritas vor Ort besucht.
"Insgesamt haben Kriege und Konflikte tiefe Wunden bei der lokalen Bevölkerung hinterlassen", so der Caritas-Auslandshilfechef. Knapp kennt die Region gut: Er war als Leiter des UNICEF-Wasserprogramms 2017 und 2018 vor Ort in Syrien tätig. Im Vergleich zur Situation von vor fünf Jahren sei sichtbar, dass die Kampfhandlungen deutlich abgenommen haben, auch wenn ein Frieden oder die Lösung des Konflikts noch nicht absehbar sind. "Die Frontlinien sind nicht mehr so aktiv, aber es herrscht eine Pattsituation", schilderte Knapp.
Die Schwerpunkte der Caritas-Hilfe in Syrien liegen auf der Unterstützung von benachteiligten Familien, Frauen und vor allem Kindern, sowie auf Bildungsprogrammen, erläuterte Knapp. Besonders wichtig sei der Caritas, dass möglichst viele Kinder auch aus den ärmsten Familien Zugang zu Bildung erhalten. Auch die psychosoziale Arbeit müsse nach Jahren des bewaffneten Konflikts und der massiven Menschenrechtsverletzungen verstärkt werden. In Syrien seien aber nach wie vor auch die Nothilfeprogramme sowie die finanzielle Unterstützung der Menschen ein wichtiges Anliegen.
Hilfsaktivitäten ausbauen
Durch den Umstand, dass Syrien von EU und den USA mit Wirtschaftssanktionen belegt ist, haben sich viele Staaten und auch Hilfsorganisationen mit ihren Hilfsangeboten aus dem Land zurückgezogen. "Die Sanktionen treffen die Menschen massiv und erschweren die humanitäre Hilfe", berichtete Knapp. Als Caritas besinne man sich aber auf das Mandat, dass die Menschen im Vordergrund stehen. Man wolle die Hilfsaktivitäten in Syrien weiter ausbauen, so der Generalsekretär, dafür sei es gut, dass der sogenannte Katastrophenfonds der Bundesregierung erhöht wurde. Gerade für die Caritas-Arbeit in Syrien sei man aber weiterhin auf Spenden der Österreicherinnen und Österreicher angewiesen, so Knapp.
Die Caritas war schon vor Ausbruch des Konflikts in der Region verankert und verfüge über gewachsene Partnerschaften. Als Hilfsorganisation der Katholischen Kirche habe die Caritas zudem einen "Sonderstatus" im Land und werde als unparteiisch wahrgenommen, so Knapp. Es sei aber festzuhalten, dass vonseiten der syrischen Regierung auch für Hilfsorganisationen Einschränkungen gelten. So werde der Bewegungsradius begrenzt und manche Projekte könnten nicht besucht werden.
Rückblickend müsse sich der Westen eingestehen, dass seit Ausbruch der Krise kein einziger Konflikt gelöst wurde, so Knapp ernüchtert. Das Ziel eines Politikwechsels sei klar verfehlt worden, im Gegenteil, das Regime habe sich noch mehr "eingeigelt". Aus humanitärer Sicht plädiere er dafür, die Syrien auferlegten Sanktionen zumindest zu überdenken, denn diese treffen vor allem die Bevölkerung.
Situation in Libanon "schockierend"
Auch von der Lage im Libanon machte sich Caritas-Auslandshilfechef Knapp im Zuge seiner aktuellen Reise ein Bild. Die Situation sei "schockierend", das Land stehe wirtschaftlich vor dem Ruin, sagte er im Kathpress-Interview. Geldentwertung und Versorgungsknappheit sei die Realität für die knapp sieben Millionen Menschen in dem Land, das unter politischer Instabilität und den anhaltenden Folgen der verheerenden Hafenexplosion in der Hauptstadt Beirut im Jahr 2020 leidet.
Knapp besuchte im Libanon Caritas-Projekte und lokale Partner. Besonders betroffen gemacht habe ihn die Situation der Arbeitsmigrantinnen, so der Caritas-Generalsekretär. Diese seien aus den unterschiedlichsten Nationen und unter oft falschen Versprechungen in den Libanon gekommen, wo sie als Hausangestellte in äußerst prekären Umständen leben. Nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft und auch durch die Coronakrise bedingt, seien die Frauen von den Familien, für die sie arbeiteten, oft von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzt wurden. Vielmals seien auch Kinder betroffen gewesen. Die Caritas vor Ort unterstütze diese Frauen und ihre Kinder, die nichts haben, beispielsweise durch Notunterkünfte oder die Ermöglichung des Schulbesuchs.
Echte Systemveränderung nötig
Wesentlich für den Libanon ist aus Sicht Knapps eine echte Systemveränderung. Die Bevölkerung habe ihr Vertrauen in Politik und den Rechtsstaat komplett verloren. Erst kürzlich habe etwa ein Gerichtsurteil hinsichtlich der Entschädigung von Opfern der Hafenexplosion die Wogen wieder massiv hochgehen lassen.
Der Libanon würde von einer Stabilisierung der Gesamtregion massiv profitieren, zeigte sich der Caritas-Auslandshilfechef überzeugt. Man kann die Probleme in dem Land nicht isoliert sehen. Die Machtverteilung müsse "konstruktiv aufgebrochen werden". Es brauche dazu ein Reformprogramm, und die Bekämpfung der Korruption müsse höchste Priorität haben.
Für aussichtslos hält Knapp das nicht. Es gebe im Ausland eine große Gruppe an "Diaspora-Libanesen". Diese könnten etwas bewirken, auch bei den Parlamentswahlen, die im kommenden Frühjahr abgehalten werden sollen.
(Infos und Spenden: www.caritas.at/spenden-helfen/auslandshilfe, oder IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560, Kennwort: Auslandshilfe)
Quelle: kathpress