Buch über konfessionelle Schulen in NS-Zeit: Neues auch über Juden
Das Schicksal der katholischen, evangelischen und jüdischen Privatschulen in Wien während der NS-Herrschaft von 1938 bis 1945 war bislang kaum erforscht und dokumentiert. Christine und Erwin Mann schließen diese Lücke mit einem jüngst erschienenen, monumentalen 880-Seiten-Band und leisten dabei nicht nur historische, sondern auch interreligiöse Pionierarbeit: Teil 4 des Opus Magnum schildert detailliert und erstmalig das jüdische Schulwesen Wiens - des wohl ältesten, heute noch bestehenden Schulwesens im Rahmen der abrahamitischen Religionen - von den Anfängen im Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert. "Auch für Judaisten ist dieser Beitrag äußerst lehrreich", lobte Pierre Genee, profunder Kenner der Geschichte der Wiener jüdischen Gemeinde, das Autorenpaar.
Das Buch setzt die Buchreihe "Religion & Bildung" fort, herausgegeben vom "Verein der Freunde religiöser Bildung", der im Jahr 2002 gegründet wurde und mit der großen Weite seines wissenschaftlichen Beirats beeindruckt: Kardinal Christoph Schönborn befindet sich ebenso darunter wie der lutherische Altbischof Michael Bünker, Verfassungsrichter Johannes Schnizer, der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle oder der Islamwissenschaftler Zekirija Sejdini. Vorstandsvorsitzender des Vereins mit rund 1.000 Mitgliedern ist der deutsche evangelische Theologe Martin Rothgangel. Bisher erschienen in der Reihe "Religion & Bildung" Bücher über große Pädagogen, die Zwischenkriegszeit, islamische Glaubenstraditionen und die Geschichte des Wiener Curhauses.
Autorin Christine Mann, langjährige Leiterin des Wiener Erzbischöflichen Schulamtes und acht Jahre Präsidentin des europäischen katholischen Schulwesens, ist seit ihren Judaistikstudien beim unvergessenen Prof. Kurt Schubert höchst interessiert am Wiener Judentum. Wie sie Kathpress berichtete, war das jüdische Schulwesen trotz der starken jüdischen Präsenz in Wien vor dem Nazi-Furor nicht sehr entfaltet; ihre Recherchen hätten ergeben, dass viele jüdische Eltern ihre Kinder nicht in jüdische, meist orthodoxe, Schulen schickten, sondern sie um deren Integration willen an öffentlichen oder katholischen Schulen anmeldeten. Die NS-Machthaber hätten diese Kinder erst ausgesondert und in eigene, minderwertige Judenschulen verbannt, ab 1942 dann überhaupt ein Unterrichtsverbot erteilt.
Auch Orden litten unter dem Regime
Großen Dank bekundeten Christine und Erwin Mann auch Ordensgemeinschaften, die das heimische Schulwesen über Jahrhunderte hinweg prägten und nun verloren Geglaubtes festgehalten wissen. Sr. Digna Blochberger FDC von der Kongregation der "Töchter der göttlichen Liebe" sagte im Rückblick auf die düstere NS-Zeit mit Schikanen und Verfolgungen auch für katholische Orden: Die Gemeinschaften hätten Kraft geschöpft aus ihrem Glauben und der "sicheren Hoffnung, dass auch die Macht des tausendjährigen Reiches ihr Ende findet". Ihrer Schwesterngemeinschaft sei nach Schulschließungen auferlegt worden, sich der Pflege verwundeter Soldaten zu widmen, berichtete Blochberger.
So wie den "Töchtern der göttlichen Liebe" erging es auch den anderen konfessionellen Schulträgern. Bildungsexpertin Mann nannte im Interview der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe) die Zahl von österreichweit 1.400 katholischen Institutionen, die von den Nazis zwangsgeschlossen und meist für andere Zwecke verwendet wurden. Ebenso die dort pädagogisch Tätigen: Lehrschwestern wurden Schreibkräfte, Klavier- und Sprachlehrerinnen, Krankenschwestern. Die Schulbrüder in Strebersdorf nutzten ihre Landwirtschaft zum Überleben: Deren einstiger "Gymnasial-Direktor war für den Pferdestall und den anfallenden Mist zuständig und führte ihn quer durch die Ortschaft", so Christine Mann.
Der Band von Christine und Erwin Mann "Die Wiener konfessionellen Schulen und ihr Schicksal 1938-1945. Eine Bestandsaufnahme der katholischen, evangelischen und jüdischen Privatschulen" erschien im deutschen LIT-Verlag und kostet 84 Euro.
Quelle: kathpress