Theologe Winkler: Politik und Diplomatie brauchen religiöses Wissen
Für den Ostkirchenexperten Dietmar W. Winkler stellt die Situation Europas politisch eine Ausnahme dar. Man habe die Religion in der Politik so weit an die Seite gedrängt, dass nunmehr eine Art religiöser Analphabetismus herrsche. "Wenn etwa durch Migration Menschen mit religiösem Hintergrund zu uns kommen, fehlt der Politik religiöses Wissen als Handwerkszeug." Es gelte, EU-Entscheidungsträger, Diplomaten etc. entsprechend zu bilden. Der Faktor Religion scheine sich gut instrumentalisieren zu lassen, weil er "das Innerste des Menschen berührt und für Abwehr gegenüber dem anderen, Angst vor dem Fremden und Eigenmotivation mobilisierbar ist". Das betonte der Milizoffizier im Interview mit der "Furche" über Religion in Osteuropa und die Folgen für Politik und Bundesheer (aktuelle Ausgabe).
Der Nahe Osten und der Balkan gelten als konfliktreiche Gebiete. Kommt das österreichische Bundesheer hier zum Einsatz, gehe es auch um den Schutz religiöser Stätten und Kulturgüter sowie um interreligiöse Friedensarbeit. Der Gründungsdirektor des Salzburger universitären "Zentrums zur Erforschung des christlichen Ostens" (ZECO) arbeitet mit dem Institut für Religion und Frieden der Militärdiözese, das an der Heeresunteroffiziersakademie verortet ist, zusammen. Als Milizoffizier und Oberstleutnant im höheren militärfachlichen Dienst ist der Professor für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Salzburg ein zentraler Ansprechpartner des Bundesheeres, auch für Fortbildungsseminare.
"Das Bundesheer muss integrationsfähig sein, denn wir sind multireligiös: Muslime, Orthodoxe, Evangelische und Katholiken leisten ihren Wehrdienst. Militärseelsorger der verschiedenen Religionen und Konfessionen müssen kooperationsbereit sein", unterstrich Winkler. Religiöses Wissen oder die Fähigkeit, mit Religion umzugehen, sei notwendig für ein gedeihliches Miteinander.
Das österreichische Bundesheer ist etwa im Südlibanon und am Balkan an internationalen Einsätzen beteiligt. Winkler erzählte von "Reibungspunkten zwischen Orthodoxen und Katholiken" in Serbien und Kroatien, während es im Kosovo um einen ethnisch-religiösen Konflikt gehe. Religiöses Wissen sei folglich "absolut relevant". "Das stellen auch Soldaten im Auslandseinsatz fest. Ich kenne viele, die etwa von ihrem Golan-Einsatz in Syrien interessiert zurückkamen und vom Besuch religiöser Stätten und der Vielfalt der Konfessionen fasziniert - oder auch irritiert - waren." Warum Serbien gegen die Anerkennung des Kosovo ist, könne man nur aus der Religions- und der europäischen Geschichte erklären. Zentrale Klöster und Stätten serbischer Identität sind im Kosovo. Es gebe kaum ein "Healing of Memories" und gemeinsames Aufarbeiten, betonte der Vorsitzende der Stiftung "Pro Oriente" in Salzburg.
Friedenserhaltung
Als neutrales Land beteilige sich Österreich bei internationalen Einsätzen meist am "Peacekeeping", der Friedenserhaltung, unter UNO-Mandat oder wie im Kosovo im Sinne der "Partnership for Peace" unter Leitung der NATO. "Die Österreicher genießen dabei international hohes Ansehen, weil sie sehr gut ausgebildet, sehr kreativ sind und gut im Improvisieren", eine Folge der "notorischen Unterfinanzierung". Es gehe um das Zusammenleben von Konfessionen, Kulturen, Religionen. Dieser praktische Dialog verlange Respekt vor dem Anderen und vor dem Anderssein. "Nachholbedarf" ortete der Ostkirchenexperte im Erkennen, dass "halb Europa orthodox geprägt ist". Ein sehr westlich-eurozentrischer Blick auf Geschichte und Kultur sei weit verbreitet. Zudem habe alles Rückwirkungen auf Europa, was im Nahen Osten passiert.
Winkler selbst habe beim Bundesheer viele Erfahrungen gesammelt, die er auch im Berufsleben umsetzen konnte, etwa im Umgang mit Menschen und für Leitungsfunktionen, erzählte er: "Ich habe nicht zuletzt gelernt, dass das Bundesheer eine notwendige Institution mit vielen Fähigkeiten ist - sei es bei Konfliktfällen im Ausland, bei Katastrophen im Inland, beim Grenzschutz, in der Pandemie oder jüngst bei der Rückholung von Österreichern aus Afghanistan."
Quelle: kathpress