Kirchlicher Internet-Pionier: Noch herrscht digitale Steinzeit
"Noch befinden wir uns in der digitalen Steinzeit und müssen lernen, mit den neuen Möglichkeiten sinnvoll umzugehen": Dazu motiviert der St. Pöltner Diözesanarchivar Thomas Aigner und Gründer des "International Centre for Archival Research" (Icarus) und der "Time Machine Organisation" in der Wochenzeitung "Die Furche" (16. Dezember) und formuliert auch gleich eine Vision, in welche Richtung es gehen könnte: "Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Haus kaufen, und man kann ähnlich wie auf Google-Maps nachschauen, was dort alles im Laufe der Geschichte passiert ist."
Die Vorstellung, dass Archive als digitale Landkarte, mit Visualisierungen und Verlinkungen, als Karten und Diagramme verfügbar sind, kann laut dem kirchlichen Internet-Pionier "in verschiedensten Alltagssituationen hilfreich sein". Generell sei damit zu rechnen, dass "wir uns immer mehr in einer digitalen Parallelwelt bewegen". Auch wenn das anfangs euphorisch begrüßte Internet inzwischen Schattenseiten wie "Fake News" und gesellschaftliche Polarisierungen zeitige, sei die Idee der Demokratisierung von Wissen zumindest im Archivwesen "absolut" aufgegangen, sagte Aigner. Gerade jetzt in der Pandemie sehe man, wie Wissenschaftler rund um die Welt ihre Daten quasi in Echtzeit teilen. Erkenntnisse über neue Virusvarianten stünden sofort global zur Verfügung.
Der Diözesanarchivar, dessen Datenbank "Monasterium" auch international für Aufsehen und Nachahmung sorgte, räumte ein, dass technische Neuerungen "historisch immer ambivalent" gewesen seien: "Fake News" habe es schon im Mittelalter, Impfskeptiker bereits im 19. Jahrhundert gegeben. "Das Problem heute ist die unglaubliche Geschwindigkeit der Informationsflüsse", sagte Aigner. "Das birgt Gefahren, darf Innovation aber nicht verhindern." Kritische Einwände seien berechtigt, sollten aber nicht davon abhalten, Neues auszuprobieren.
Thomas Aigner verfolgt seit Langem das Anliegen, historische Quellen über das Internet frei zugänglich zu machen. Der 48-jährige Niederösterreicher erinnerte an die Zeit als er begann, Kirchenbücher im Internet verfügbar zu machen. "Ende der 1990er-Jahre habe ich mir einen Scanner gekauft und kam auf die Idee, historische Texte und Editionen zu digitalisieren." Diese wurden dann mit Aufnahmen der originalen Urkunden kombiniert - "damit war das Portal 'Monasterium' geboren, auf das schon bald andere Bundesländer und Nachbarländer aufmerksam geworden sind". Das Anfangsziel von 20.000 digitalisierten Urkunden nur aus Niederösterreich war bald überholt; heute sind es laut Aigner bereits an die 700.000 aus ganz Europa.
Eine große Rolle spielt die Digitalisierung bereits jetzt in der Familienforschung. Viele Menschen spüren ihren Wurzeln nach und landen dabei oft in anderen Ländern, hieß es in der "Furche". Dazu Aigner: "Familienforscher sind neugierig. Ihr Wissen kann dazu beitragen, Begriffe wie 'Nation' oder 'Volk' als Konstruktionen des 19. Jahrhunderts zu enttarnen." Diese Begriffe seien politisch instrumentalisiert worden und keimten in Krisensituationen wie heute wieder auf.
Nach digitalem auch physischer Besuch
Der Diözesanarchivar bot in der Corona-Zeit Online-Führungen durch das Benediktinerkloster in Klein-Mariazell an. Seine Erfahrung: "Über das Internet erreicht man Menschen, die sonst nie kommen würden." Zugleich animiere man viele im Umland, tatsächlich einmal hinzufahren. Freilich: "Das Erlebnis der Landschaft, der Geruch des Gebäudes, der Geschmack des Kaffees im Dorfwirtshaus sind nicht ersetzbar." Gerade während der Pandemie sei zu beobachten gewesen, dass die Menschen wieder verstärkt Ausflugsziele in ihrer näheren Umgebung entdeckten.
Eine große Rolle spielt die Digitalisierung auch bei der Sicherung von Kulturdenkmälern wie Notre-Dame. Das 2019 ausgebrannte Pariser Gotteshaus werde zwar "nie wieder die Kathedrale, die sie einmal war", so Aigner. Aber Bauwerke seien heute bis auf den Millimeter genau dokumentiert, und das biete sowohl im Katastrophenfall als auch im Alltag ein gutes Sicherheitsnetz. Mit kostengünstigem Monitoring seien etwa Risse oder Senkungen nachverfolgbar. Ein aktuelles Projekt des Bundesdenkmalamts, des Lands Niederösterreich und der Diözese St. Pölten ist laut dem Archivar dabei, rund 500 Kirchen digital aufzunehmen. "Für die Denkmalpflege ist das ein Quantensprung."
Quelle: kathpress