Schönborn: "Vertrauen wir den Wissenschaftlern und der Regierung"
Zu Vertrauen und gesellschaftlichem Zusammenhalt in der Corona-Pandemie ruft Kardinal Christoph Schönborn auf. Im Weihnachtsinterview mit der Nachrichtenagentur Kathpress und den Medien der Erzdiözese Wien (Donnerstag) ermutigte der Wiener Erzbischof auch einmal mehr zur Covid-Impfung. "Nicht, dass ich glaube, dass dieser Impfstoff nicht auch Risiken enthält. Aber das hat man bei jeder Impfung", so Schönborn. Skeptischen Menschen sage er daher immer wieder: "Glauben Sie ernsthaft, dass Wissenschaftler in Österreich und die Politiker, die sie beraten, ein Interesse daran haben, die gesamte österreichische Bevölkerung mit einem Hochrisiko-Impfstoff zu impfen auf die Gefahr hin, dass die gesamte österreichische Bevölkerung schwerste Schäden erleidet?"
Es seien jetzt schon mehr als sechs Millionen Menschen in Österreich geimpft. "Welche Regierung könnte ein Interesse daran haben, die ganze eigene Bevölkerung einer verantwortungslosen Gefährdung auszusetzen?", so Schönborn. Für ihn seien diese Überlegungen ein ausreichender Grund zu sagen: "Ja, bitte vertrauen wir den Wissenschaftlern, den Ärzten, die die Regierung beraten, und der Regierung, die die schwere Verantwortung auf sich genommen hat, Entscheidungen zu treffen."
Die Blockierung von Intensiv-Betten in Österreich sei der Maßstab, an dem sich die Regierung in ihren Sicherheitsmaßnahmen orientier, fügte der Kardinal hinzu: "Wir wissen, dass in den letzten zwei Jahren sehr viele, oft lebenswichtige Operationen verschoben werden mussten, um die Intensiv-Betten für schwere Corona-Fälle freizuhalten." Für ihn sei es daher ethisch unverantwortlich, "nicht alles Mögliche zu tun, um eine schwere Corona-Erkrankung zu vermeiden", so Schönborn: "Denn wenn ich das leichtfertig unterlassen habe und dann eine schwere Corona-Erkrankung bekomme und ein Intensiv-Bett brauche, dann kann es sein, dass ich jemand anderem dieses Intensiv-Bett nehme, der es aus anderen Gründen dringend brauchen würde." Das sei für ihn ein klares ethisches Argument in Richtung Impf-Notwendigkeit, betonte der Kardinal.
Verzicht auf Nostalgie
In der ersten Phase der Pandemie habe man sehr viel Hilfsbereitschaft erlebt. Das durchzuhalten, wenn kein Ende abzusehen ist, sei freilich eine ganz große Herausforderung. "Eine kurze Not-Zeit gemeinsam durchzustehen, das mobilisiert die Kräfte. Aber eine lange Covid-Erfahrung gut zu leben, das müssen wir erst lernen", sagte Schönborn. Ein wichtiges Element dabei sei, auf Nostalgie nach dem Motto "Früher war es besser, jetzt ist alles schlecht!" zu verzichten. Denn: "Wir alle werden verändert aus dieser Situation herausgehen."
Er bitte zugleich um Vertrauen in die seriöse Arbeit der Wissenschaft. "Mich beunruhigt schon sehr, dass sich eine Wissenschaftsskepsis breitmacht. Und eine Ahnungslosigkeit, wie Wissenschaft funktioniert", erklärte Schönborn. Verschwörungstheorien aller Art wies der Kardinal vehement zurück. Letztlich habe dies auch damit zu tun, "dass wir uns nicht zugestehen, dass wir in einer unsicheren Zeit leben".
Viele Menschen - so auch er - seien freilich schlicht müde von den Diskussionen rund um das Endlos-Thema "Corona und wie damit umgehen". Er empfehle deshalb "ein Stillhalteabkommen auf Weihnachten hin bei den Diskussionen über dieses Thema". Nachsatz: "Es gibt doch unendlich viele Themen, über die wir sehr sinnvoll und gut miteinander reden können. Das kann ich nur wärmstens empfehlen."
Kritik am Assistierten Suizid
Zum Assistierten Suizid meinte der Kardinal einmal mehr, dass dies nicht nur eine Wunde für Christinnen und Christen sei, "sondern für viele Menschen, die das Leben als Ganzes sehen und für die die Vorstellung, einem Menschen aktiv zu helfen, sich umzubringen, eine unmögliche Vorstellung ist". Das sei auch primär gar keine Frage der Religion, sondern eine Frage der Menschlichkeit.
Man müsse sehr aufpassen, dass man nicht in die Sprachfalle geraten: "Da wird der Satz 'in Würde sterben dürfen' gewissermaßen beschlagnahmt für den Assistierten Suizid." Die gesamte Kultur der Sterbebegleitung, die tief in der Menschheit verwurzelt ist, komme in den Verdacht, dass sie nicht würdig ist, kritisierte der Wiener Erzbischof.
"Frieden für Syrien"
Im Weihnachtsinterview nahm der Kardinal auch zu seinem Syrien-Besuch im vergangenen Oktober Stellung und sagte: "Frieden für Syrien ist eines meiner großen Gebetsanliegen. Ich nehme das in meinen Alltag hinein." Die Not und Perspektivenlosigkeit der Bevölkerung sei "unfassbar tragisch". Er habe vor Ort immer wieder von den Menschen gehört, dass die Sanktionen der Europäischen Union und der USA unglaublich schwer auf der Bevölkerung lasten würden.
Zuletzt habe er immer wieder von kleinen Anzeichen gehört, die Hoffnung geben. "Dass sich das Verhältnis Syriens zu den Nachbarländern da und dort entspannt, dass es Hoffnung gibt, dass kleineren Schritten größere Schritte folgen könnten." Aber ob die Großmächte und Regionalmächte tatsächlich gewillt seien, Syrien eine friedliche Zukunft zu ermöglichen, darüber wage er kein Urteil, so Schönborn. Nachsatz: "Ich bin kein Experte, aber ich fürchte, dass die De-facto-Teilung Syriens wohl noch länger so bestehen wird."
Geheimnis von Weihnachten
Die Botschaft von Weihnachten sei "absolut geheimnisvoll", erklärte der Kardial zur Frage, wie er den Menschen von heute die Botschaft der Menschwerdung Gottes erklärt. "Das Geheimnis kann ich nicht auflösen, aber ich kann es verehren. Ich kann dafür danken. Und ich kann staunen, dass es wirklich so ist."
Immer, wenn er über Wissenschaft und Glauben diskutiere, müsse er sagen: "Die Glaubensgewissheit, in der ich bekenne, dass dieses Kind Gottes Sohn ist, ist viel gewisser als alle wissenschaftliche Gewissheit. Denn die wissenschaftliche Gewissheit ist immer hypothetisch und kann durch neue Entdeckungen falsifiziert werden. Aber hier sagt uns der Glaube: Das ist wirklich geschehen. Dieses Kind ist wirklich Gottes Sohn!" Und nochmals bekräftigend: "Selbst wenn man rational alle möglichen Argumente anführt und sagt: Gott kann doch nicht Mensch werden! Der Zauber des Geheimnisses ist, dass Gott in diesem Kind uns so nahegekommen ist, wie nur irgendwie möglich, einer von uns geworden ist, um als Mensch unter uns Menschen zu leben."
Das ganze Interview gibt es auch zum Nachlesen (dersonntag.at/kardinal-weihnachtsinterview) und Nachhören (radioklassik.at/podcast).
Quelle: kathpress