Polak: Kampf gegen Antisemitismus braucht neue Ansätze in Gedenkkultur
Um dem grassierenden Antisemitismus in Europa, aber auch in Österreich effektiv entgegenzutreten, braucht es nicht nur die Pflege einer Gedenkkultur, sondern auch deren Weiterentwicklung: Das hat die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak betont. Gerade in "Migrationsgesellschaften" und angesichts des Generationenwechsels und einer großen Unwissenheit unter jungen Menschen bezüglich des Holocaust und des Judentums sei es dringend geboten, eine auch für junge Menschen schlüssige Gedenkkultur zu entwickeln: "Betroffenheit allein genügt nicht, sondern wir brauchen ein umfassendes Ringen um das Verständnis, wie politische, soziale, kulturelle, religiöse Dynamiken aussehen, die zur Katastrophe der Schoah geführt haben."
Polak äußerte sich im Podcast "Diesseits von Eden" der Theologischen Fakultäten Österreichs (https://diesseits.theopodcast.at). Anlass der neuen Folge, an der auch der Grazer Neutestamentler Prof. Christoph Heil und der Salzburger Fundamentaltheologe Prof. Gregor Maria Hoff mitwirkten, waren die Gedenkfeiern rund um den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (27. Jänner) und den vorausgegangenen "Tag des Judentums".
Eine wirksame Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus sei u.a. die persönliche Begegnung junger Menschen mit Jüdinnen und Juden. Dies trage dazu bei, Vorurteile abzubauen. Antisemitismus stelle aber ein umfassenderes "Alarmsignal" in Gesellschaften dar, wies Polak hin. So zeuge grassierender Antisemitismus häufig davon, "dass es auch um andere Menschenrechte nicht gut bestellt ist". Daher sei es umso wichtiger, aufmerksam darauf zu achten, wo etwa die Rechte anderer Menschen bzw. Minoritäten in Gefahr gerieten.
Heil: ungelegene Bibellektüre etablieren
Ähnlich die Einschätzung des Grazer Bibelwissenschaftlers Christoph Heil: Auch er empfiehlt - "neben der theoretischen und historischen Beschäftigung mit Quellen und Texten" - die persönliche Begegnung mit Jüdinnen und Juden, den Besuch von Synagogen und den Dialog. Dabei würden dann auch bleibende Unterschiede und Differenzen zwischen Christentum und Judentum zur Sprache kommen können.
Überdies wies Heil darauf hin, dass auch die christliche Theologie weiterhin in der Pflicht stehe, alles dafür zu tun, dass antijudaistische Stereotype, die sich bis in die biblischen Texte hinein finden lassen, nicht unkommentiert bzw. unrevidiert in die Seelsorge und Liturgie hineingetragen werden. Die Einsicht, dass Jesus selbst Jude war und jüdisch dachte, müsse immer wieder neu anhand biblischer Texte erklärt und vermittelt werden. Dazu müsse die "Kunst der Bibelauslegung" im Sinne einer historisch-kritischen Bibellektüre immer neu eingeübt werden:
"Und das ist weiterhin eine Aufgabe, weil diese alten Denkschemata - das Christentum hätte das Judentum ersetzt, Jesus hätte eine neue Religion gegründet und hätte alles neu machen wollen - diese Thesen schwirren immer noch in vielen Predigten und theologischen Publikationen herum, die müssen immer wieder kritisiert werden. Und das ist eine bleibende, große, wichtige Aufgabe der Theologie."
Hoff: "Substitutionstheologie" weiterhin vorhanden
Der Salzburger Fundamentaltheologe Prof. Gregor Maria Hoff, selbst u.a. Konsultor in der päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, betonte, es sei zwar bereits viel passiert und habe auch seit dem bahnbrechenden Konzilsdokument "Nostra aetate" faktisch "keinen echten Rückfall" in kirchlichen Dokumenten mehr gegeben - jedoch ließen sich immer noch in gegenwärtigen Theologien "Spuren einer Substitutionstheologie" finden, also Spuren eines Denkens, in dem etwa der "neue Bund" den "alten Bundes" abgelöst hat:
"Das ist nicht die Asservatenkammer, sondern es ragt in die Codierungsprogramme christlicher Theologien hinein. Wo laufen Sie dann trotzdem noch mal im Schema von Verheißung und Erfüllung so ab, dass es eine Art von heilsgeschichtliche Ersetzung Israels gibt? Das ist eben nicht einfach vorbei, solange wir uns immer wieder neu mit den Texten des Neuen Testaments auseinandersetzen müssen."
Der Podcast der theologischen Fakultäten in Österreich und Südtirol, "Diesseits von Eden. Gespräche über Gott und die Welt", ist unter https://diesseits.theopodcast.at abrufbar sowie über alle gängigen Podcast-Kanäle kostenlos abonnierbar (https://diesseits-von-eden.simplecast.com/; https://open.spotify.com/show/2UmXKDYRtqi3TMY6kgrAZ7?
Quelle: kathpress