
Premiere von Schirachs Stück "Gott" im Schauspielhaus Graz
"Gott" kommt mitten in der bisher heftigsten Pandemiewelle nach Graz ins dortige Schauspielhaus. Ferdinand von Schirachs so benanntes Stück feierte am Freitagabend unter der Regie von Bernd Mottl Premiere im Haus Eins. Thema sind allerdings weniger theologische als vielmehr brisante ethische Fragen rund um den in den vergangenen Monaten in Österreich heiß diskutierten Suizid und die Beihilfe dazu: Theaterdonner als "Argumentegewitter", losgelassen vor einer "Ethikkommission" mit juristischen, medizinischen und kirchlichen Sachverständigen. Als Film hatte der Schirach-Stoff bereits im November 2020 im Zuge der Ausstrahlung im ORF für Debatten gesorgt, nun kommt er in Graz in etwas "austrifizierter" Form ebenso wortreich und niveauvoll rund 100 Minuten lang auf die Bühne.
Zum Inhalt: Herr Gärtner (Gerhard Balluch) will nicht mehr leben. Nach dem qualvollen Tod seiner Frau vor zwei Jahren sind Lebenssinn, -lust und -mut des pensionierten Architekten verschwunden. Söhne, Freunde und Ärzte haben versucht, ihn davon abzubringen, aber er will nur eins: sein Leben mit 15 Gramm Natrium-Pentobarbital - einem seit der gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids auch in österreichischen Apotheken erhältlichen Präparat - beenden. Doch anstatt eine Sterbehilfeorganisation in der Schweiz aufzusuchen, erfüllt Gärtner den Wunsch seiner Elisabeth auf dem Sterbebett: "Mach es richtig." Er bringt sein Anliegen vor die Ethikkommission, mit dabei auch der "theologische Sachverständige" Thiel (Clemens Maria Riegler), der als Bischofsvikar der Diözese Graz-Seckau vorgestellt wird. Dessen erster Satz im Stück war auch von heimischen Bischöfen mehrmals zu hören: "Das ist ein Dammbruch!"
Auf die aktuelle Gesetzeslage in Österreich beziehen sich auch die Verfassungsrichterin Monika Litten, die an der Uni Graz lehrt, und der Onkologe Ludwig Sperling als Mitglied der österreichischen Ärztekammer. Sie und die anderen Fachleute der öffentlichen Ethikkommissionssitzung bringen außerdem penibel recherchierte Argumente in Bezug auf die Lage in Staaten mit liberaler Sterbehilferegelung wie den Benelux-Ländern, der Schweiz oder dem US-Bundesstaat Oregon vor.
Stück fußt auf penibler Recherche
Ferdinand von Schirach beweist in seinem Stück mit gründlicher juristischer Methodik seine Kompetenz als ausgebildeter Strafverteidiger: Der deutsche Autor von Bestsellern - sowohl in Buch als auch Dramenform - lässt die Sachverständigen Herr Gärtners Fall aus unterschiedlichen moralisch-ethischen, ärztlichen, juristischen, historischen und - durch den Theologen und Berater der Bischofskonferenz, Thiel - religiösen Blickwinkeln beleuchten. Des Kirchenvertreters Argument, Lebensmüde bräuchten Liebe und Zuwendung statt einer Todespille, überzeugt dabei mehr als seine mit dem Glauben begründete Überzeugung, dass Leiden "Reinigung" bedeutet und "das Christentum, wenn man es ernst nimmt, eine Religion des Leidens" sei. Thiels Positionen bieten dem eloquenten Anwalt Biegler (Mathias Lodd) jedenfalls reichlich Angriffsflächen in Bezug auf die Gewaltgeschichte der Kirche und den Sühnetod Christi.
"Statistische Fakten und überraschende Facetten zeigen, dass das Thema weder einfach noch eindimensional, sondern im Gegenteil höchst komplex und viel schwerwiegender ist, als man zunächst vielleicht denkt", teilte das Schauspielhaus Graz zur Premiere mit. Auf einem Großbildschirm eingeblendete Daten der Statistik Austria zu Todesursachen im Jahr 2020 (1.072 der insgesamt 92.000 Sterbefälle waren Suizide) und zu Suizidmethoden im Jahr 2019 (42 Prozent starben durch Erhängen, 20 Prozent durch Erschießen) ergänzten die vorgebrachten Argumente.
Vorbehalte beim Theaterpublikum stiegen
Das Publikum wird im Grazer Schauspielhaus selbst zur Entscheidung gebeten: Eingangs wurde in einer "Probeabstimmung" am Freitagabend gefragt, ob die Theaterbesucher grundsätzlich eher für oder gegen Sterbehilfe eingestellt sind. Das Votum: 77 Prozent votierten für ja, 23 hatten Vorbehalte. Am Ende lag die Frage zur Abstimmung vor: Soll Herr Gärtner das todbringende Präparat verschieben bekommen? Es zeigte sich: Die Bedenken stiegen. Nur mehr 57 Prozent Pro- und 43 Prozent Contra-Stimmen.
Dabei wurde von Anwalt Biegler, der die Sterbewunsch-Interessen seines Mandanten Gärtner vertrat, als entscheidende Fragen in dieser heiklen Causa bezeichnet: "Wem gehört unser Leben? Und wem, wenn nicht uns, gehört unser Sterben?" Suggestivfragen, die Individualismus viel offensichtlicher nähren als etwa die Frage: Was macht das Leben lebenswert? Was gibt ihm Sinn? (Abstimmungsergebnisse veröffentlicht auf https://gott.theater).
Nach der viel beklatschten Premiere am 4. Februar soll das Drama weitere Male am 8., 16. und 17. Februar aufgeführt werden, außerdem am 2. und 18. März sowie am 9. April, jeweils um 19.30 Uhr. (Info: www.schauspielhaus-graz.com)
Quelle: kathpress