Theologe Tück: Anstößigkeit des Kreuzes nicht verharmlosen
Das Kreuz steht im Zentrum des Christentums und hat auch die Kultur und Geschichte Österreichs jahrhundertelang geprägt. Allerdings ist nach den Worten des Wiener Dogmatik-Professors Jan-Heiner Tück "Wachsamkeit geboten, wenn Politiker das Kreuz zum historischen Kultursymbol herunterstufen und die Anstößigkeit verharmlosen". Zum Auftakt der von ihm in der Karwoche gestalteten ORF-Radioreihe "Gedanken für den Tag" hielt Tück am Montag fest: "Es ist und bleibt ein Skandal, das Sterben eines unschuldigen Menschen sichtbar zu machen und öffentlich den eigenen Glauben daran zu bekennen, dass der gekreuzigte Jude Jesus von Nazareth der Christus und Sohn Gottes ist."
Das Kreuz bringe ans Licht, was gerne verdrängt wird: "das ungerechte Leiden der Opfer, die keine Stimme haben oder mundtot gemacht werden", sagte der Theologe weiter. Das Kreuz decke auch "die lügnerischen Masken der Täter auf, die gerne so tun, als hätten ihre Taten gar nicht stattgefunden", nahm Tück Bezug auf aktuelle Kriegsverbrechen in der Ukraine. Es erinnere an die Verwundbarkeit und Fehlbarkeit menschlicher Existenz, an die "Erlösungsbedürftigkeit und Sterblichkeit, der niemand entrinnt, auch die Jungen, Fitten und Starken nicht".
Gerade in Zeiten, in denen "die Imperative der Leistung und Effizienzsteigerung in der Gesellschaft immer mehr um sich greifen", setze das Kreuz einen Kontrapunkt, so Tück weiter. Es sensibilisiere für die, die auf der Strecke bleiben, für die Armen und Schwachen. Es stärke auch eine Kultur der Vergebung, die andere nicht auf ihre Fehler festlegt und ihnen eine Chance des Neuanfangs einräumt. "In einer Gesellschaft oft gnadenloser Rechthaberei könnte der Einbruch der Gnade eine heilsame Unterbrechung sein", gab Tück zu bedenken.
Diesen positiven Sinngehalt des Kreuzes theologisch zu erläutern, erfordere nicht nur die Tatsache, dass Agnostiker und Atheisten mit der Anstößigkeit des Kreuzes ihre Schwierigkeiten haben. Auch für Juden und Muslime sei das Kreuz ein ambivalentes Symbol: Der alte und folgenschwere Vorwurf von christlicher Seite, die Juden seien Gottesmörder und hätten den Messias verkannt, "hallt im kulturellen Gedächtnis bis heute nach", wies der Theologe hin. Für Muslime seien die Kreuzzüge des Mittelalters noch immer präsent. Eine Theologie, die sich selbst mit den Augen der anderen sieht, könne diese Vorbehalte nicht ignorieren, betonte Tück.
"Gedanken für den Tag" von Jan-Heiner Tück sind in der Karwoche täglich kurz vor dem Morgenjournal um 6.56 Uhr im Programm Ö1 zu hören.
Quelle: Kathpress