"Jedermann" für Altbischof Bünker "manchmal schwer auszuhalten"
Scharfe Kritik am "Jedermann", Hugo von Hofmannsthals Paradestück der Salzburger Festspiele, wie auch an dessen "hochgradig kommerzialisierter" Ausrichtung hat der evangelische Altbischof Michael Bünker geübt. Der Text sei "hochgradig moralisierend und das in einer Weise, wie es für einen Evangelischen manchmal schwer auszuhalten ist", sagte Bünker in der Wochenendausgabe des "Standard" (16./17. Juli). Konkret nannte er die Angst vor dem Tod, vor dem Jüngsten Gericht, "all die Dinge, von denen man glaubt, sie seien längst überwunden". Hofmannsthal "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" ist ab Montag wieder mit dem berühmten "Jedermann"-Ruf auf dem Salzburger Domplatz zu sehen.
Die "ungebrochene Attraktivität der Aufführungen" erklärte der bis September 2019 als Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich amtierende Bünker damit, dass das Stück "etwas Folkloristisches, Touristisches" umgebe. Als er selbst den "Jedermann" sah, "bekamen wir die Karten nur im Arrangement mit einer weiteren Vorstellung mit Übernachtung". Diese Kommerzialisierung stehe "im Gegensatz zur Entstehungszeit, als der Erlös wohltätigen Zwecken zugeführt wurde", so Bünker.
Die Kritik am "reichen Mann" im Stück sei "eine rein individuelle, moralisierende, die überhaupt nicht mehr berücksichtigt, was die Urfassungen des Jedermann-Stoffs, entstanden in der Zeit eines beginnenden Frühkapitalismus, über ihre Epoche aussagen". Statt um Gerechtigkeit gehe es eher um Selbstgerechtigkeit. "Jedermann will sein Leben gerechtfertigt sehen, weitergehende Zusammenhänge interessieren ihn wenig." Eine spannende Stelle, die noch etwas von der Wahrnehmung des beginnenden Frühkapitalismus widerspiegle, sieht Bünker in der Begegnung mit dem Mammon, der Jedermanns Fehleinschätzung entgegenhält: "Nicht ich bin dein Knecht, du bist der meine."
Reichtum verpflichtet
Martin Luthers Forderung an Jedermann wäre laut dem Altbischof gewesen: "Der Reiche muss mit seinem Vermögen verantwortungsvoll umgehen, es gehört nicht ihm allein." Und er solle es nicht aus Angst und Zwang tun, sondern im Vertrauen und in Dankbarkeit dafür, von der Gnade Gottes gerechtfertigt zu sein. "Wie weit sich das leben lässt, ist eine andere Frage", räumte Bünker ein. "Aber gute Werke tut man mit Lust, Jedermann tut sie mit Widerwillen." Zugleich unterstrich der evangelische Theologe die Luther'sche "sola fide"-Lehre, wonach nur der Glaube und keine Verdienste vor Gott rechtfertigen. Der Glaube im Stück werde "zu einer Art Hilfskrankenschwester" für die schwachen Werke des Reichen.
Bünker erinnerte an die radikale Einschätzung des Kirchenvaters Clemens von Alexandria (ca. 150-215 n. Chr.), der bezweifelte, ob Reiche ins Himmelreich kommen können. Denn Reichtum sei "immer ererbtes Raubgut oder selbstgeraubtes Gut". Man könne sich nur befreien von dieser Sündenlast, indem man das Vermögen, das man hat, für Gutes einsetzt, wies Bünker hin. Als beeindruckendes Beispiel dafür nannte er die aktuelle "Tax us now"-Bewegung von Millionären und Milliardären, die auch für sich selbst Vermögens-, Erbschafts- und Börsentransaktionssteuern fordern. Bünker wörtlich: "Das wäre eine schöne Lehre aus dem Jedermann: Alle, die die Vorstellung besucht haben, treten danach für Vermögenssteuern ein."
Quelle: kathpress