Syrischer Ordensmann: In Aleppo jetzt auch Cholera ausgebrochen
Seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges haben sich die Lebensbedingungen für die Menschen in Syrien nochmals drastisch verschlechtert. Dazu kommt, dass die Weltöffentlichkeit davon keine Notiz mehr nimmt. Das hat der Franziskaner P. Ibrahim Alsabagh bei einem Gesprächsabend im Ordenszentrum "Quo vadis?" in Wien betont, über das die heimischen Ordensgemeinschaften am Freitag berichteten. Alsabagh lebt und wirkt in der nordsyrischen Metropole Aleppo. Die humanitäre und soziale Situation sei katastrophal, nun seien aufgrund der Not und der schlechten hygienischen Bedingungen auch noch Cholera und Typhus ausgebrochen, berichtete der Ordensmann.
Alle 14 Stunden gebe es in Aleppo für eine Stunde Strom, was bedeute, dass die einfachsten Elektrogeräte wie Kühlschrank oder Heizung nicht genutzt werden können. "Die Winter sind in Syrien sehr kalt. Es fehlt das Heizöl oder die Menschen können es sich nicht leisten", so der Franziskaner. Immer mehr Menschen würden zudem Hunger leiden. Manche Väter könnten mit ihrem geringen Verdienst ihre Familie nur drei, vier Tage pro Woche ernähren. Auch die medizinische Versorgung sei sehr schlecht: Diabetes- oder Krebspatienten würden keine Medikamente oder Therapie mehr bekommen bzw. könnten sich dies die meisten nicht leisten.
Er mache sich auch Sorgen um die heranwachsende Generation. Die Kinder und Jugendlichen gehen vorzeitig von der Schule ab. "Damit wird ihnen auch die Perspektive auf ein besseres Leben genommen", warnte P. Alsabagh. Das Syrien seiner Kindheit sei voller Frieden, Respekt und Gemeinschaft gewesen. "Manchmal verbrachten wir mehr Zeit im Haus unserer sunnitischen Nachbarn als zu Hause bei unserer Mutter", erzählte P. Alsabagh. 2014 kehrte P. Ibrahim als Oberer des Franziskanerklosters und Leiter der Pfarre St. Francis von Rom nach Aleppo zurück und erlebte das einst friedliche Land als "eine versprengte Welt".
Umfangreiche Hilfsprojekte
Die unvorstellbare Not hat die Franziskaner veranlasst, vor rund einem Jahr eine Suppenküche einzurichten. Inzwischen wurden bereits weit mehr als 200.000 Mahlzeiten an arme Familien, alte und alleinstehende Menschen, Kranke und Behinderte, Christen wie Muslimen ausgegeben. Darüber hinaus haben die Franziskaner aber seit 2016 insgesamt rund 40 Hilfsprojekte umgesetzt. Von der Renovierung von Häusern, Hilfe für Alte und Behinderte oder auch mit der Finanzierung von kleinen Geschäften oder Werkstätten, damit die Menschen vor Ort Arbeit haben. 60 Ehrenamtliche würden die kleine franziskanische Gemeinschaft in Aleppo bei den Projekten unterstützen: "Diese Schwestern und Brüder sind ein Geschenk Gottes."
Zusammenhang zwischen Ukraine- und Syrienkrieg
Wie P. Alsabagh im Gespräch mit der APA sagte, würde die syrische Bevölkerung im Ukrainekrieg eine Wiederholung all dessen sehen, "was wir in Syrien erlebt hatten. Aus einem vermeintlich schnellen Krieg wurde ein langer." Und: "Von Anfang an fühlten wir den Zusammenhang zwischen den beiden Kriegen." Die Folgen des Ukrainekrieges hätten die Syrer ja durch ausbleibende Weizenimporte unmittelbar zu spüren bekommen.
Auf die medizinische Versorgung angesprochen, erzählte der Ordensmann, dass es früher eine Grundversorgung gratis gegeben habe, jetzt nicht mehr. Viele Menschen getrauten sich wegen der Kosten nicht mehr, einen Arzt aufzusuchen. Spitäler seien zerstört, Geräte wegen mangelnder Ausrüstung nicht in Aktion.
Dementsprechend wählte der Franziskanerpater einen drastischen Vergleich: "Die Gesellschaft ist zu einem Patienten geworden, der Hunger hat und nicht atmen kann." Eine Perspektive auf Verbesserung lasse sich nicht erkennen. "Die Jungen emigrieren, die Alten geben auf." Der Exodus halte an. "Seit 2014 haben zwei Drittel der Bürger Aleppo verlassen." Tag für Tag emigrierten weitere Familien in Richtung Libanon, in Richtung Irak, oder, falls sie entsprechende Visa erhalten, zu Familienangehörigen in Kanada oder Australien. "Wir verlieren die Menschen, mit denen wir eine Zukunft aufbauen sollten."
"Wir fühlen uns wie ein Spielball der Mächte"
Viele der Zurückgebliebenen hätten mit psychischen Problemen zu kämpfen. An den öffentlichen Schulen lasse die Betreuung der Schüler oft zu wünschen übrig. P. Alsabagh: "Es gibt viel Gewalt, das reflektiert psychologische Schäden." Der Einfluss des Krieges sei bei den jungen Menschen spürbar. An den 17 privaten Schulen der verschiedenen christlichen Kirchen sei die Lage besser, doch würden die Lehrer schlecht bezahlt. Die Kirchen zahlten oft das Schulgeld, wenn Eltern es nicht mehr aufbringen können.
Auf die Pfarren kommen in dieser tristen Situation große gesellschaftliche Aufgaben zu. Die Strategie der Franziskaner: "Wir setzen für die Menschen ein Zeichen des Friedens." Die Kirchen kümmerten sich um das Zusammensein der Menschen, um Sport und Unterhaltung. "Wir tragen eine Gesamtverantwortung für das Leben ganzer Familien." Die Aktivitäten der Kirchen würden von den staatlichen Behörden sehr geschätzt.
Befragt nach möglichen Lösungsansätzen für Syrien sagte der Ordensmann: "Die Syrien-Krise kann nicht gelöst werden, ohne dass alle Gruppen im Boot sind." Alle, die in Syrien Verantwortung tragen, müssten eingebunden werden. Doch in Syrien selbst könne keine politische Lösung erarbeitet werden. "Die Welt müsste mitmachen" - mit dem Ziel eines Wiederaufbaus. Denn es gehe um einen strategischen und geopolitischen Kampf. Freilich, derzeit hätten die Menschen das Gefühl, die ausländischen Akteure verfolgten ihre eigenen Interessen. "Wir fühlen uns wie ein Spielball der Mächte."
Quelle: kathpress