
Krautwaschl: Im "Zeitenwandel" Sakramentenspendung überdenken
Auch die katholische Kirche ist von einem umwälzenden "Zeitenwandel" erfasst, von dem Papst Franziskus schon lange vor der Pandemie, dem Krieg in Europa, der Energiekrise und der "explodierenden Ich-Bezogenheit in der westlichen Gesellschaft" gesprochen hat. Wie der Grazer Bischof vor dem steirischen Klerus bei den jährlichen Priestertagen im Bildungszentrum Seggau ausführte, sei die Kirche mit ihrer Botschaft und ihren hilfreichen Institutionen in Zeiten multipler Krisen "wichtiger denn je".
Freilich werde die "Rolle der Kirche als Glaubensgemeinschaft unbedeutender, während kirchliche Hilfsorganisationen und Bildungseinrichtungen "boomen", so Krautwaschl. Er regte ein "Überdenken kirchlicher Herangehensweisen" an und nannte dafür Beispiele aus dem Bereich der Sakramentenspendung.
So könne man etwa "fragen, ob Taufe oder Segen angebrachter sei, ob es passt, alle Kinder zeitgleich zur Erstkommunion zu führen, ob alle Jugendlichen zeitgleich gefirmt werden müssen", sagte der Bischof laut einer Aussendung der Diözese Graz-Seckau am Freitag. Auch solle man überlegen, wie heute mit Schuld, Versagen und Sünde umzugehen sei oder wie die Kirche für Eheleute und beim Sterben hilf- und segensreich sein kann, nahm Krautwaschl Bezug auf die Sakramente Buße, Ehe und Krankensalbung. Er plädierte für ein "Hinterfragen von Gewohntem".
Die steirischen Priestertage - heuer von 19. bis 22. September in Seggau - finden traditionell zu Beginn des Kirchenarbeitsjahres statt. Sie dienen der Inspiration und dem Austausch der 360 Priester in der Diözese. Inhaltlicher Schwerpunkt war diesmal die Rolle der "Kirche in einer Gesellschaft, die immer mehr um das eigene Ich kreist". Bischof Krautwaschl ging in seinem Impuls auf die vielfältigen Nöte der Zeit ein: Klimawandel, Ukrainekrieg, Rückzug in das Eigene, Anfälligkeit für Populismus, Migration und Asyl, Inflation und Energiekrise, Schutz des Lebens, Rolle der sozialen bzw. "unsozialen" Medien. Man könnte angesichts all dieser Problemfelder verzagen, doch als gläubiger Mensch dürfe man stets auf Gottes Gegenwart vertrauen, so Krautwaschl.
"Werden wir noch gebraucht?"
"Werden wir, wird die Kirche nicht mehr gebraucht?". Diese provokante Ausgangsfrage stellte Gastreferent Jan Loffeld, Pastoraltheologe in Utrecht, seinen Ausführungen über "Evangelisierung heute" voran. Er präsentierte dazu "ernüchternde Studienergebnisse". In den Niederlanden etwa meinten 70 Prozent der Menschen, ohne Religion zurechtzukommen. In Österreich fanden laut Austrian Research Panel 2020 gar nur 19 Prozent der Menschen Religion wichtig. Corona habe die Trennung von der Kirche beschleunigt, befand Loffeld. "Die Distanz zu Gott wächst laufend, und viele meinen, auch ohne Gott gut leben zu können oder stellen sich die Frage nach Gott überhaupt nicht mehr." Diesen "Apatheisten" sei Gott fremd und egal.
Auch gelte: Die Haltungen und Regeln des christlichen Glaubens seien mit der zeitgeistigen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung nicht vereinbar, so der Theologe. Zur Selbstoptimierung brauche man keine Erlösung, und das Leben müsse auch keinen Sinn haben, solange es "okay" ist. Die Mehrheit sei gleichgültig und desinteressiert, dagegen sei die Kirche machtlos mit ihren "Antworten auf Fragen, die nicht mehr gestellt werden". Unter den heute zahlreichen Angeboten sei die Kirche nur mehr ein "schwache Option"; der Sport dagegen, von vielen als Ersatzreligion betrachtet, eine "starke Option", sagte Loffeld.
Sehnsucht nach "Urnarrativen"
Dennoch gebe es eine Sehnsucht nach "Urnarrativen", also besonderen Erzählungen und Geschichten. Als Beispiele nannte Loffeld Gottes Begleitung der Menschen in guten und schlechten Zeiten und die Hoffnung auf das gute Ende, das der Glauben zusagt. Verstärkt würden solche Botschaften durch "auratische" Bauwerke und ihre besondere Atmosphäre. Dome und Stifte seien nicht zufällig Tourismusmagnete, Rituale wie die Osterspeisensegnung sehr beliebt, so Loffeld. Dort werde die Sehnsucht nach Transzendenz für so manche ausreichend gestillt. "Viele wollen nicht das ganze katholische Paket, aber ein Segen ist dann doch mal etwas Schönes", erklärte der Theologe. Faktum sei, dass sich die Kirche dem Trend, der von ihr wegführt, weder entziehen könne noch daran "schuld" sei.
Dennoch wurde bei den Priestertagen laut dem Bericht der Diözese Graz-Seckau deutlich, dass die Kirche gebraucht wird. Viele Priester berichteten von einem vollen Terminkalender. Pastoraltheologe Loffeld bestätigte, dass die Kirche weiter wichtig sein werde, aber eben anders: Taufen, Hochzeiten und kirchliche Rituale seien so herausgehoben aus dem Alltag, dass sie mitunter über viele Jahre wirkten. Eine dauerhafte Bindung an die Gemeinschaft sei hingegen weniger wichtig. Zugänge gebe es in der Pflege oder in Krankenhäusern, dort, "wo das eigene Leben brüchig wird", erklärte Loffeld. "Spätestens dort schlägt für viele die Stunde der Kirche."
Ein ermutigendes Plädoyer für das Priestertum hielt Prälat Leopold Städtler, der vor mehr als sieben Jahrzehnten geweiht wurde. Der heute 97-jährige frühere Generalvikar in der Amtszeit von Diözesanbischof Johann Weber betonte vor dem steirischen Klerus: "Ich würde heute jederzeit wieder Priester werden, das ist eine wunderbare Berufung und ein wunderbarer Beruf, weil man mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun hat und für diese Gutes tun kann." Über das Leben und Wirken Städtlers erschien jetzt ein Buch der Grazer Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler mit dem Titel "Mit den Menschen leben" - laut der Diözese "ein Stück Zeit- und steirische Kirchengeschichte".
Quelle: kathpress