Chalupka: "Niemand darf sich für einen Krieg auf Gott berufen"
"Niemand kann und darf sich für einen Krieg auf Gott berufen." - Das betonte der evangelische Bischof Michael Chalupka im Interview mit den "Salzburger Nachrichten" (Samstag). Zugleich hielt er fest: "Das entbindet uns aber nicht von dem Dilemma, dass Menschen, die angegriffen werden und sich verteidigen müssen, auch zu militärischen Mitteln greifen dürfen." Die müsse aber immer im Bewusstsein erfolgen, "dass man auch dann schuldig wird, wenn man sich bewaffnet verteidigt", so Chalupka: "Es gibt keinen gerechten Krieg, aus dem man ohne Schuld herauskommt. Es gibt Situationen, da kann man sich nur entscheiden zwischen dem Schlechten und dem noch Schlechteren."
Chalupka erinnerte an den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der daran gedacht hatte, sich am Attentat gegen Hitler zu beteiligen. "Er sagte, der Mensch müsse in die Schuldfähigkeit eintreten, weil man so oder so schuldig werde, durch Tun wie durch Unterlassen. Krieg macht schuldig, aber Leben nicht zu verteidigen macht genauso schuldig."
Man können den Menschen in der Ukraine jetzt nicht sagen, dass sie sich nicht auch mit Waffen verteidigen dürfen. Zugleich sei in der Vergangenheit im Blick auf Friedensbemühungen viel verabsäumt worden, wenn er überlege, "was die Politik in den vergangenen 20 Jahren durch die Abhängigkeit von russischem Gas oder dadurch, dass sie die Unterdrückung der Opposition in Russland zugelassen hat, an Friedensarbeit versäumt hat". Hier hätte es sehr viele Möglichkeiten gegeben, mehr Frieden zu schaffen ohne Waffen. Chalupka: "Frieden schaffen ja, in der Zeit, in der es möglich ist. Frieden wird nicht durch Krieg erzeugt, sondern durch stetes Bemühen, im Dialog zu sein und Bedingungen zu schaffen, die Krieg nicht begünstigen."
Volle Gleichstellung der Frauen
Zur Frage, warum es derzeit in der Evangelischen Kirche in Österreich wenige Frauen in geistlichen Führungspositionen gibt, meinte der Bischof: "Wir haben rechtlich die volle Gleichstellung der Frauen. Wir haben bei den Pfarrerinnen knapp 40 Prozent Frauen und im Oberkirchenrat mehr als ein Drittel Frauen. Aber wir haben derzeit keine Superintendentin. Dadurch entsteht ein öffentliches Bild, das unserem eigenen Anspruch der vollen Gleichberechtigung auch in geistlichen Ämtern nicht gerecht wird." Die große Herausforderung besteht laut Chalupka darin: "Wir möchten bei allen Wahlen diese Gleichstellung repräsentieren, wir sind aber andererseits sehr stolz darauf, dass wir eine durch und durch demokratische Kirche sind."
Auf eine mögliche Frauenquote angesprochen, sagte der Bischof: "Es gibt solche Überlegungen, aber es gibt keinen Beschluss dazu. Wir müssen mehr überlegen, was Frauen daran hindert, sich der Wahl zu stellen."
In den evangelischen Kirchen in Deutschland sei es lange ähnlich gewesen wie derzeit in Österreich. Erst in den vergangenen Jahren wurden einige Bischöfinnen gewählt. Nachsatz: "Das spornt uns an." Konservative Kreise in der katholischen Kirche würden häufig sagen, so Chalupka, "in den evangelischen Kirchen gibt es Pfarrerinnen, es gibt demokratische Mitbestimmung, und trotzdem sind die Austrittszahlen gleich hoch". Für die Evangelische Kirche gehe es aber "bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der demokratischen Mitwirkung um unser Selbstverständnis, nicht um die Austrittszahlen".
Allerdings stehe man wie alle Kirchen vor der Herausforderung, "dass man nicht mehr in eine Kirche hineingeboren wird, sondern dass man sich bewusst dafür entscheiden muss". Hoffnung mache, so Bischof Chalupka, "dass die Menschen, die in der Kirche bleiben, das sehr bewusst und entschieden tun. Sie sagen, uns ist eine Kirche mit diesem Profil etwas wert, dafür leisten wir auch unseren Kirchenbeitrag."
Das Interview fand anlässlich des bevorstehenden evangelischen Reformationstages (31. Oktober) statt. Der ORF-TV- und Radiogottesdienst (10 Uhr auf ORF III und Ö1) zum Reformationstag kommt heuer aus der evangelischen Auferstehungskirche in Wien-Neubau. Gestaltet wird er von Diakonie-Direktorin Katharina Moser und Ortspfarrer Hans-Jürgen Deml gemeinsam mit dem Team der Pfarrgemeinde.
Bereits am Sonntag, 30. Oktober, ist die Diakoniedirektorin in der "Pressestunde" live auf ORF 2 zu sehen (ab 11.05 Uhr). In der ORF III-Reihe "Das ganze Interview" ist zudem am Reformationstag Bischof Michael Chalupka zu Gast und kommt dabei auf die politische Kultur ebenso zu sprechen wie auf das aktuelle "Jahr der Schöpfung" (Montag, 31. Oktober um 9.30 Uhr, ORF III). Ein Auszug aus dem Gespräch ist bereits am Sonntag in der "Orientierung" zu sehen (30. Oktober, 12.30 Uhr, ORF 2).
Quelle: kathpress