Glettler: Nur Tradition zu beweihräuchern wird nicht ausreichen
Der katholische Glaube hat nach den Worten des Innsbrucker Bischofs Hermann Glettler an lebensgestaltender Relevanz verloren. "Das ist Faktum, Beschönigen wäre ein Fehler." Er wolle aber nicht bei dieser Diagnose stehen bleiben, betonte Glettler im Interview für die dieswöchige Ausgabe des Südtiroler "Katholischen Sonntagsblattes" (6. November). Um dem "Auftrag, die Frische und Bedeutung des Evangeliums für unsere nervöse Zeit bewusst zu machen", gerecht zu werden, setzt der Bischof auf eine Zuversicht und Versöhnung stiftende Seelsorge. "Vielleicht sollten wir dabei etwas innovativer sein... Nur die Beweihräucherung der Tradition wird nicht ausreichen", hielt Glettler fest.
In Bozen, wo er sich anlässlich der Präsentation seines neuen Buches "Dein Herz ist gefragt. Spirituelle Orientierung in nervöser Zeit" aufhielt, zog Glettler eine Zwischenbilanz über sein bald fünfjähriges Wirken als Bischof in Innsbruck. Er habe Tirol lieben gelernt. "Die Menschen sind großzügig, in der Kommunikation meist etwas direkter, als man dies im Osten Österreichs gewohnt ist", sagte der gebürtige Steirer.
Er stoße auf sowohl auf eine "sehr kostbare" traditionelle Frömmigkeit und ein gut verwurzeltes Brauchtum als auch auf das Schwinden von volkskirchlicher Religiosität, "vergleichbar mit der Gletscherschmelze". Unter den Gläubigen gebe es traditionelle, eher auf Bewahrung ausgerichtete Gläubige, aber ebenso zahlreich seien jene, die auf Veränderung und Liberalisierung drängen. Glettler plädierte für "eine gewisse Pluralitätsfitness" in der Kirche. "Wir dürfen einander das Katholisch-Sein nicht absprechen", betonte er. Verfehlt wäre es, "die Kirchenkrise krankhaft vor uns herzutragen", betonte der Bischof. "Wir schulden der Welt jene Hoffnung, die uns von Christus anvertraut wurde."
Füreinander und für die Schöpfung Herz zeigen
Die kirchliche Seelsorge müsse darauf reagieren, dass viele Menschen heute sehr belastet, irritiert und verunsichert seien: "Die Zuversicht ist beschädigt." Für eine zeitgemäße Seelsorge ist nach den Worten des Bischofs Versöhnung zentral: "Sie ist der Schlüssel angesichts krankhafter Gereiztheit und in vielen biographischen Bruchstellen." Seelsorge brauche es auch in der gegenseitigen Begleitung, um den vorherrschenden Lebensstil zu verändern und "eine heilsame Reduktion zu schaffen", wie Glettler sagte. "Wir können nicht mit der Haltung weitermachen, dass alles immer noch besser, noch bequemer und jederzeit verfügbar sein muss."
In seinem neuen Buch, in dem er die in Tirol ausgeprägte Herz-Jesu-Frömmigkeit aufgreift, habe er deutlich zu machen versucht, "dass es einen neuen Herzschlag der Zuversicht braucht", erklärte Glettler. Viele Menschen seien von Ängsten und Unsicherheiten getrieben. "Wir müssen füreinander und für die belastete Schöpfung Herz zeigen." Die Herz-Jesu-Spiritualität sei ein enormer Schatz, brauche aber wohl eine "Blutauffrischung". Das verwundete Herz des Gekreuzigten ist laut dem Bischof "das überzeugendste Symbol, dass Bosheit, Hass und Vernichtung nicht das letzte Wort haben".
"Authentisches Christsein gibt es nur solidarisch"
Herz zu zeigen erfordere auch das Flüchtlingsthema, wies Glettler hin. Das Augenmerk dürfe dabei nicht nur auf dem Kriegsschauplatz in der Ukraine liegen. Auch an vielen anderen Orten - Glettler nannte die Beispiele Syrien, Afghanistan, Jemen und Äthiopien - schreie das Elend zum Himmel. In Burkina Faso, wo sich die Diözese Innsbruck seit mehr als 40 Jahren in Hilfsprojekten engagiert, trieben der islamistische Terror, die Klimaveränderung und andere Nöte Menschen in die Flucht. "Wir sollten die Geflüchteten nicht in zwei Klassen aufteilen", appellierte der Bischof. Es entspreche nicht nur den Menschenrechtskonventionen, sie menschenwürdig aufzunehmen, sondern auch dem Auftrag Jesu. "Authentisches Christsein gibt es nur solidarisch", so Glettler.
Quelle: kathpress