Soziologe Joas: Es gibt "moralische Fortschritte" in der Geschichte
Der renommierte deutsche Soziologe Hans Joas glaubt an "identifizierbare moralische Fortschritte" in der Geschichte: Für ihn ist der relative Erfolg der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1950er- und 1960er-Jahre "eindeutig ein moralischer Fortschritt", weil damit der Rassentrennung Widerstand geleistet wurde. Wie Joas am Mittwoch beim "Dies Academicus" der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz zur Frage eines erkennbaren "moralischen Fortschritts" und zur "ambivalenten Rolle des Christentums" bei der Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte darlegte, gibt es aber keinen Automatismus einer höheren Ethik, jeder Fortschritt sei immer wieder gefährdet.
Der in Berlin lehrende Sozialphilosoph zeigte sich in seinem Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion davon überzeugt, dass "vieles von dem, was erreicht ist, wieder verschwinden kann", etwa Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei Hitlers Machtergreifung 1933. Auch für die Zukunft sieht Joas moralischen Fortschritt nur als "Maßstab", nicht als "historische Gesetzmäßigkeit". Zudem sei normativ eine Ethik überlegen, die an das Wohl aller Menschen denkt, statt eine von Gruppenegoismen dominierte. Wenn etwas universalistischer ist, so sei das ein "Kriterium für moralischen Fortschritt", nannte Joas die Gleichstellung von Frauen oder die Ächtung von Krieg als Beispiel.
Das Christentum nimmt laut Joas im Kampf gegen Rassismus keine eindeutige Position ein: Bei der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung seien seine Vertreter wie Martin Luther King auf Seiten der Bekämpfenden gestanden, aber auch auf der Gegenseite. "Man muss immer bedenken, dass auch die Verteidiger der Rassensegregation und früher im 19. Jahrhundert die Verteidiger der Sklaverei oft christlich und direkt theologisch argumentiert haben", wies der Soziologe hin. Man mache es sich zu einfach, wenn man meine, man könne eine bestimmte Religion mit einer Sache identifizieren, die man heute vielleicht selber für das Gute hält, und alles Böse anderen Traditionen zuschreiben.
Für Joas ist Religion ein Sammelbegriff, hinter dem sich viele Phänomene verbergen. Auch der Begriff Christentum sei zu groß, um der sozialen Wirklichkeit bestehender "Christentümer" gerecht zu werden. Letztendlich bedarf es laut Joas für moralischen Fortschritt einer bestimmten Motivation, tätig zu werden, und eines Interesses dafür, woher diese Impulse kommen.
Am Podium diskutierte Joas mit der deutschen evangelischen Theologin Cornelia Richter, mit Katja Winkler vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften der KU Linz, mit dem Citypastoral-Verantwortlichen und Pax-Christi-Aktivisten Markus Pühringer, und der Frauenbeauftragten der Diözese Linz, Petra Gstöttner-Hofer. Unter Einbeziehung des Publikums - u. a. von KU-Linz-Rektor Christoph Niemand und der Linzer Pastoralamtsleiterin Gabriele Eder-Cakl wurden brennende moralische Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Seenotrettung und auch Synodalität angesprochen.
Forschung zu Menschenrechten
Cornelia Richter, evangelische Professorin für Systematische Theologie und Hermeneutik in Bonn, sprach in einem weiteren Vortrag beim "Dies Academicus" über "die Idee der Menschenrechte zwischen theologischen Impulsen und kirchlicher Programmatik": Die Menschenrechte seien aus der religiösen Geschichte erwachsen, daran gibt es keinen Zweifel, betonte die Koordinatorin einer Bonner Forschungsgruppe über Resilienz in Religion und Spiritualität.
Derzeit läuft - wie Richter berichtete - ein internationales Forschungsprojekt, das bestehende Lücken in der Ideengeschichte der Menschenrechte füllen soll: Kirchenhistoriker und Juristen in Schottland, in den USA und in Bonn arbeiten gemeinsam daran, dazu auch detaillierte Fragen zu beantworten wie jene, wie bestimmte Elemente aus der jüdisch-christlichen Tradition, die zu den Menschenrechten beitrugen, konkret von Europa nach Amerika kamen - sogar mit welchem Schiff werde erforscht. Richter vertrat die These, "dass es in der schottischen Reformationsgeschichte zu einer Symbiose gekommen ist - von calvinistisch, aber auch durch Melanchthon geprägten reformatorischen theologischen Ideen mit der dort damals aktuell verhandelten Rechtsgeschichte".
(Infos: www.ku-linz.at)
Quelle: kathpress