EU-Politiker und Geistliche: Ohne Religion keine Zukunft Europas
Ohne die Religionen und ihren Beitrag zur Wertebildung ist eine Zukunft Europas unvorstellbar: Das war der Tenor der diesjährigen Tagung der Arbeitsgruppe für den interkulturellen und religiösen Dialog der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, die am Freitag und Samstag in Wien stattfindet. Zum Generalthema "Religion und die Zukunft Europas" äußerten sich am ersten Halbtag in diesem Sinne der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, und drei Geistliche aus drei Weltreligionen: Manuel Barrios Prieto, Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE, der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister, sowie Imam Yahya Sergio Yahe Pallavicini, Präsident des "European Muslim Leaders Council".
Karas beklagte, dass das Wertefundament der Union durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erschüttert worden sei. Die Gesellschaften seien zunehmend gespalten, auch die Religionsgemeinschaften hätten daran bedauerlicherweise Anteil. Der ÖVP-Politiker verwies auf die unrühmliche Rolle des Moskauer Patriarchen Kyrill als Vertreter einer Kirche, die sich von Putin instrumentalisieren lasse. Gerade dies müsse Ansporn sein, den interreligiösen Dialog zu stärken - wie dies die Europäische Volkspartei in Wien zum bereits 24. Mal tue.
Karas, als Vizepräsident des EU-Parlaments mit der Umsetzung von Artikel 17 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) betraut, der eine rechtliche Verpflichtung für einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog der EU mit den Religionsgemeinschaften vorsieht, bekannte sich in seiner Einleitung zum interreligiösen Dialog. Ohne ihn gebe es keine demokratischen Mehrheiten für eine gedeihliche Zukunft Europa. Religion, Herkunft und Sprache seien wesentliche Elemente, um den Anspruch der EU umzusetzen, "vereint in Verschiedenheit" zu sein. Karas verurteilte jede Politik, die sich zu profilieren suche, indem sie anklagend mit dem Finger auf Religion zeigt.
Gottesglaube schützt vor Verabsolutierungen
Der Vertreter der Katholischen Kirche am Podium, COMECE-Generalsekretär Prieto, zitierte aus einer Rede des vor rund einem Jahr verstorbenen Apostolischen Nuntius bei der Europäischen Union, Erzbischof Aldo Giordano, wonach die Frage nach Gott eine entscheidende für die Zukunft des Kontinents sei. Ohne Transzendenz drohe ein "anarchischer Pluralismus", in dem sich der Mensch selbst absolut setze. Der Gottesglaube dagegen stehe im Widerspruch zu autoritären Regimes. Und als eine gemeinsame Verpflichtung für die Religionsgemeinschaften nannte Prieto jene, als "Friedensstifter" zu wirken und so die "einzigartige Vermittlerrolle Europas" im Konflikt konkurrierender Weltmächte zu konkretisieren. Glaubhafter Einsatz für Frieden und Versöhnung würde auch junge Menschen neu für die Union begeistern, zeigte sich der COMECE-Vertreter überzeugt.
Vor der Tendenz rechtspopulistischer Strömungen und Parteien, sich als Verteidiger des jüdisch-christlichen Erbes zu gerieren, warnte Rabbiner Hofmeister in seinem Statement. Dabei dürfe nicht darauf vergessen werden, dass es auf Basis dieses Gedankenguts immer wieder eine Verfolgung des Judentums gegeben habe. Jetzt seien es vorrangig Muslime, die zu Objekten der Ausgrenzung gemacht würden. Die Religionsgemeinschaften in Europa hätten gelernt, nach einer langen Geschichte, "die mit Blut und Tränen geschrieben wurde", einander von Angesichts zu Angesicht zu begegnen, so Hofmeister. Jetzt sei eine neue Phase des Dialogs erforderlich: Es gelte "Seite an Seite" aufzutreten gegen eine Politik und Wirtschaft, die ohne religiöse Wertebasis agiere, nationalistischen Egoismus schüre und dabei das Vertrauen der Menschen verliere.
Parallele IS-Russische Kirche
Eine Parallele zwischen dem vermeintlich "heiligen Krieg" der IS-Terroristen und jenem von der russischen Orthodoxie gerechtfertigten in der Ukraine zog der in Brüssel als Vertreter von Muslimen in 22 Ländern tätige Imam Pallavicini. Beides stelle eine Dämonisierung von Toleranz und Pluralismus dar, die dem eigentlichen Wertefundament der Religionen widerspreche. Der muslimische Geistliche sah für die Religionen den Anspruch, im Geiste der EU-Gründungsgestalten Schuman, Degasperi und Adenauer einer Vision zu folgen, die sich in Kooperation und Zusammenhalt zeigen müsse. Pallavicini wandte sich gegen dialogfeindliche Phänomene wie Ghettoisierung, die - oft versteckte - Annahme eigener Überlegenheit, Relativismus und einen aggressiven Säkularismus. Patriarch Kyrill habe er in einem Brief an das Patriarchat in Moskau widersprochen, wonach es "im Westen" keine Werte gebe und der russische Osten diese hochhalten müsse.
Am Freitagnachmittag kommen noch der griechisch-orthodoxe Wiener Metropolit Arsenios (Kardamakis), der im Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel wirkende Metropolit Emmanuel (Adamakis) und Jorgen Skov Sorensen, Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), zu Wort; am Samstag stehen auf der Liste der Vortragenden u.a. die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak, der Präsident des International Catholic Legislators Network (ICLN) und Rektor der Katholischen Hochschule ITI, Christiaan Alting von Geusau, sowie Archimandrit Aimilianos Bogiannou, Direktor des Brüssel-Büros der Orthodoxen Kirchen bei der EU. Der Samstag steht unter dem Aspekt des Einflusses der Kirchen und Religionen auf soziale und politische Prozesse.
Das Rahmenprogramm sieht u.a. am Freitagabend einen Besuch der Tagungsteilnehmenden im Stift Klosterneuburg vor, sowie am Samstag in der Früh einen Gottesdienst im Wiener Stephansdom, dem Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka vorstehen wird.
Quelle: kathpress