Genetiker Hengstschläger: Kein Widerspruch von Wissenschaft und Glaube
Der Wiener Genetiker und Buchautor Markus Hengstschläger sieht keinen Widerspruch darin, ein Naturwissenschaftler und gleichzeitig ein gläubiger Mensch zu sein. "Ein tägliches Leben zu führen ohne zu glauben - Sie können dabei über Religion reden oder auch ganz allgemein über andere Dinge - wäre für mich undenkbar", sagte der Leiter des Instituts für Medizinische Genetik an der Universität Wien im Gespräch mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe). Wichtig sei aber, Wissenschaft und Glaube "klar zu trennen". "In meiner wissenschaftlichen Arbeit darf der Glaube keinerlei Rolle spielen. Aber daraus zu schließen, dass ein Wissenschaftler nicht gläubig sein kann, das hat sich für mich noch nicht erschlossen", so Hengstschläger.
Dabei sei sein Interesse an den Naturwissenschaften schon in der Schule vorhanden gewesen, sagte Hengstschläger. An der Genetik habe ihn immer schon der Umstand fasziniert, dass man rasch von der Forschung auch zur Anwendung zum Nutzen des Menschen kommen könne. Das gelte heute nach wie vor, so der Autor mehrerer Bücher. Im Zentrum für Genetik beschäftige er sich im Wesentlichen damit, welche Rolle Gene bei der Entstehung von Erkrankungen des Menschen spielen.
Ebenso betreue man Patientinnen und Patienten, die in das Institut überwiesen werden. Dann mache man die Diagnostik und forsche an vielen dieser Erkrankungen. "Es gibt sogenannte monogene Erkrankungen, bei denen eines der etwa 22.000 Gene des Menschen, wenn es eine Veränderung erfährt, eine sogenannte Mutation, kausal mit der Entstehung von Erkrankungen verbunden ist", erklärte Hangschläger. Davon kenne man mittlerweile Tausende.
Ethischer und biologischer Konsens
Über Gentherapie könne man aber auch Menschen in ihrer Gesamtheit genetisch verändern, wenn man sie sehr früh einsetzt, so der Wissenschafter. Bei einer künstlichen Befruchtung etwa, die man normalerweise im Kontext eines unerfüllten Kinderwunsches anwendet, würde man den Embryo, bevor man ihn in die Gebärmutter einsetzt, mittels Genschere genetisch verändern. Die Veränderung würde dann alle Zellen dieses Embryos betreffen und damit später auch alle Zellen dieses Menschen. "Solch eine sogenannte Keimbahntherapie ist in Österreich und in den meisten Ländern der Welt gesetzlich verboten", stellte Hengstschläger klar.
Es herrsche "breiter Konsens sowohl auf biologischer als auch auf ethischer Ebene, Keimbahntherapie aktuell nicht anzuwenden", er selber schließe sich dieser Meinung an. "Das hat einerseits ethische Gründe, über die man diskutieren soll, und andererseits auch rein biologische Gründe." Die Technik müsse etwa noch verbessert werden und eine entsprechende Abschätzung aller Folgen solcher Keimbahneingriffe, die den ganzen Menschen betreffen, sei noch nicht wirklich möglich.
Menschen ermutigen
In der Wissenschaft gelte es aber auch, stetig voranzuschreiten. Generell sei es ihm ein Anliegen, Menschen zu ermutigen, etwas auszuprobieren und Vorschläge zu machen. "Und dann schauen wir gemeinsam, ob es funktioniert. Wenn der Vorschlag nicht funktioniert, lernt man gleich etwas bezüglich Fehlerkultur", zeigte er sich überzeugt
So funktioniere auch die Wissenschaft: "Man muss einfach die Erfahrung machen können, dass nicht jeder Vorschlag zu einer Lösung führt." Vielmehr gehe es darum, Resilienz zu entwickeln und zu lernen, mit Rückschlägen umzugehen. "Durch das Zulassen, mehr noch durch das Ermutigen, Lösungsfindungsprozesse zu üben, entsteht automatisch eine aktive Lösungsbegabung."
Dadurch werde schlussendlich das gefördert, was man "kollektive Lösungsbegabung" nennen könnte. Diese werde insbesondere in Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen, Energiewende, Klimatransformation, Pandemie, "in höchstem Maße" benötigt, zeigte sich der Wissenschaftler überzeugt. "All das müssen wir im Kollektiv lösen. Und dann kommt noch dazu, dass es doch eigentlich das coolste Gefühl für einen Menschen ist, eine Idee zu entwickeln, die zu einer Lösung führt oder beiträgt." Das fördere das Selbstbewusstsein und trage zur Entfaltung der Persönlichkeit bei, so Hengstschläger.
Das Gespräch mit Markus Hengstschläger kann man auf radioklassik.at in den Podcasts unter der Rubrik "Lebenswege" nachhören.
Quelle: Kathpress