Philosoph: Toleranzpotenzial der Religionen differenziert betrachten
Bei der These "Monotheismus ist intolerant, Polytheismus ist tolerant" gilt es, "drastisch zu differenzieren": Das betonte der Philosoph Heinrich Schmidinger am Montagabend bei der siebten "Ulrich Winkler Lecture" an der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg. Die These sei "plakativ" und werde der geschichtlichen Entwicklung nicht gerecht, hielt der ehemalige Rektor der Paris Lodron Universität Salzburg (2001-2019) im Kathpress-Interview nach seinem Vortrag fest. Bei dieser Gleichsetzung werde auch davon ausgegangen, dass der Monotheismus die "absolute Wahrheit" kenne, so Schmidinger. Monotheismus sei oft aber vielmehr ein Motivator zur Toleranz, wenn man davon ausgehe, dass der einzige Gott alle Religionen umfasse.
Zu beachten sei, dass es bereits in der Bibel mehrere Formen von Monotheismus gibt. Diese seien unterschiedlich tolerant oder intolerant. Schmidinger riet dazu, "sehr genau hinzuschauen", worüber man spricht. Er begrenzte seine Ausführungen auf den europäischen Kulturraum und alles, was dazu beigetragen hat, wie etwa den vorderen Orient und den Mittelmeerraum. Der Philosoph verwies auf einige Persönlichkeiten wie David Hume, Arthur Schopenhauer, Cicero und Jan Assmann.
In seinem Vortrag stellte Schmidinger die These auf, dass der Polytheismus dann im Blick auf Toleranz relevant wird, wenn seine monotheistischen Elemente tragend werden. Er verwies auf den einen Kosmos, der in diesem Glauben das Einheitsprinzip ergibt. "Erst aus diesem Einheitsprinzip erwächst die Toleranz, nicht daraus, dass es viele Götter und Göttinnen gibt, die man beliebig austauschen kann", unterstrich er im Interview. Denn aus diesem Einheitsprinzip erwachse die Idee der einen Menschheit und eines Staates, der alle Menschen verbindet und in dem alle ihre Rechte haben; wo auch Standes- oder Glaubensunterschiede keine Rolle mehr spielen, da sie in ihrer Vielheit anerkannt werden.
Im Hinblick auf den Polytheismus der Antike sei es nicht sinnvoll, generell von Toleranz oder Intoleranz zu sprechen. Toleranz sei hier nicht als Tugend zu betrachten. Denn "es war selbstverständlich, jedes Volk hat seine Götter gehabt, im Zweifelsfall hat man sie untereinander ausgetauscht". Polytheismus alleine auf die Vielheit der Götter zu reduzieren, sei zu kurz gegriffen, betonte der Philosoph. Götter und Göttinnen "sind Ausdruck eines Weltbildes, in dem die Natur und Gott völlig eins sind". Schmidinger sprach von "Kosmotheismus": Der Kosmos sei das Heilige. "Alles, was aus diesem Kosmos kommt, gilt ebenfalls als heilig oder göttlich, deshalb gibt es viele Götter und Göttinnen."
Prof. Franz Gmainer-Pranzl, Leiter des Zentrums für Theologie Interkulturell und Studium der Religionen, würdigte bei der Veranstaltung Heinrich Schmidinger als ehemaligen Rektor und emeritierten Philosophieprofessor, dessen Zusage zum Vortrag "wie ein Ritterschlag" gewesen sei. Er verdeutlichte die Kompetenzen Schmidingers u.a. mit seinem im Jahr 2000 erschienenes Buch "Hat Theologie Zukunft?", das bis heute "wichtig und relevant" sei.
"Ulrich Winkler Lectures"
Die "Ulrich Winkler Lectures" sind eine Vortragsreihe im Gedenken an den verstorbenen Salzburger Dogmatiker Ulrich Winkler (1961-2021). Er war Assoziierter Professor am Fachbereich für Systematische Theologie und Mitgründer des Zentrums für Theologie Interkulturell und Studium der Religionen. Seine Forschungsschwerpunkte waren die Religionstheologie und die Komparative Theologie. Die Vorträge der "Ulrich Winkler Lectures" sollen am Ende der Reihe (2024) gesammelt in einem Buch der "Salzburger Theologischen Studien interkulturell" erscheinen. (Infos: www.plus.ac.at/ztkr/news-events-social-media/bthw2021/ulrich-winkler-lectures)
Quelle: kathpress