
Nahost-Jugendliche stellen Forderungen an ihre Kirchenleitungen
Im Rahmen eines dreitägigen Workshops in St. Pölten und einem vielfältigen Kultur- und Begegnungsprogramm lernten rund 25 christliche junge Frauen und Männer aus dem Nahen Osten in den vergangenen Tagen Österreich kennen und erarbeiteten zugleich Perspektiven für ihre Heimatländer. Was beim Workshop in St. Pölten laut einem Bericht des "Pro Oriente"-Informationsdienstes (Donnerstag) deutlich wurde: Die jungen Leute fühlen sich von ihren eigenen Kirchenleitungen zu wenig ernst genommen. Die Jugend habe zu wenig Möglichkeiten, das kirchliche Leben mitzugestalten bzw. mitzuentscheiden, so der Tenor. Die Jugendlichen orteten großen Handlungsbedarf. Ein weiteres dringliches länder- und kirchenübergreifendes Thema war die Rolle der Frauen in Kirche und Gesellschaft.
Übereinstimmend stellten die Teilnehmenden auch fest, dass sie viel zu wenig voneinander wissen. In den Ländern des Orients blieben die Christinnen und Christen in den verschiedenen Kirchen weitgehend unter sich. Kontakte zu Angehörigen von Geschwisterkirchen seien selten. "Und wenn wir dann etwas voneinander wissen, dann bezieht es sich vor allem auf das Trennende", brachte es ein Teilnehmer auf den Punkt.
Die schwierigen ökonomischen Bedingungen im Nahen Osten wurden ebenfalls als eine der großen Herausforderungen benannt, mit der die Jugendlichen - in unterschiedlicher Weise - in allen Ländern ihrer Heimatregion konfrontiert sind. Viele junge Menschen würden nur mehr in der Auswanderung eine Zukunftsperspektive sehen, bedauerten die Teilnehmenden. Die überwiegende Mehrheit der jungen Frauen und Männer in St. Pölten betonten freilich für sich selbst, dass sie sich in ihren Heimatländern für eine bessere Zukunft einsetzen wollen.
Ein großes Problem in so gut wie allen Ländern des Nahen Ostens stelle zudem die Korruption dar - einerseits in Politik und Gesellschaft ganz allgemein, andererseits zum Teil aber auch in den Kirchen, wie die Teilnehmenden festhielten. Auch dass viele nahöstliche Gesellschaften immer noch in Clans organisiert sind, hemme die Entwicklung der Länder. Das betreffe alle Menschen in diesen Ländern, unabhängig von der Religion.
Eindringlich sprachen sich die jungen Leute in allen Ländern dafür aus, dass es gleiche Bürgerrechte und -pflichten für alle brauche. Im Blick auf die Kirchenleitungen zeigten sich die Jugendlichen zudem überzeugt, dass sich die Kirchen noch stärker den Armen zuwenden müssten. An die christlichen Politiker richteten sie die Mahnung, nicht Eigeninteressen, sondern das Gemeinwohl in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zu stellen.
Militärdienst, Traditionen, Korruption
Freilich gab es auch spezifische Herausforderungen in einzelnen Ländern, die bei dem Workshop angesprochen wurden. In Syrien betrifft dies etwa den Militärdienst, der derzeit mindestens acht Jahre dauert. Die Jugendlichen aus Palästina berichteten u.a. vom israelischen Siedlungsbau in den besetzten Gebieten, durch den der palästinensischen Bevölkerung immer mehr Land weggenommen werde. Sie sprachen von mangelnder Gerechtigkeit und fehlender Rechtsstaatlichkeit.
Eine junge irakische Christin wiederum berichtete von den Schwierigkeiten, denen sie als junge unverschleierte Studentin an der Universität in Mossul ausgesetzt war. Viele gesellschaftliche Traditionen würden den Frauen das Leben erschweren. Im Irak sei es beispielsweise auch für christliche Frauen unmöglich, alleine über Nacht zu verreisen.
Für die jungen Leute aus den verschiedenen Ländern und Kirchen war es das erste Mal, dass sie miteinander in Kontakt kamen. Solche Kontakte gehörten unbedingt ausgebaut, zeigten sich deshalb auch alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer überzeugt. Sie sprachen sich etwa für ökumenische Jugendforen aus.
Zudem wurde von den Teilnehmenden betont, dass es für sie ein sehr starkes Erlebnis gewesen sei, gemeinsam zu beten und durch die Gestaltung der Gottesdienste mit Gesängen aus den vertretenen Kirchen auch die verschiedenen liturgischen Traditionen untereinander kennenzulernen. Dies galt auch für den Abschlussgottesdienst am Ende des Workshops, dem der Bischofsvikar der Diözese St. Pölten für Schule, Hochschule und Studierendenseelsorge, P. Patrick Schöder OSB vorstand, der den Teilnehmenden auch herzliche Grüße vom verhinderten Diözesanbischof Alois Schwarz ausrichtete.
Am Ende des ersten Workshop-Tages gab es eine Begegnung mit einer Gruppe von jungen Christinnen und Christen aus St. Pölten, bei der die jeweiligen Situationen von jungen Menschen in den Kirchen sowohl in Österreich als auch im Nahen Osten miteinander ausgetauscht wurden.
Begegnung mit Kardinal Schönborn
Im Rahmen eines Tagesausflugs besuchten die jungen Leute auch Wien, wo sie u.a. mit österreichischen Jugendlichen zusammentrafen, den Stephansdom besichtigten und schließlich bei Kardinal Schönborn zu Gast waren. Schönborn feierte mit den jungen Erwachsenen und ihren Begleitern in der Andreaskapelle im Erzbischöflichen Palais einen Gottesdienst und ermutigte sie in seiner Predigt, sich für eine bessere Zukunft in ihren Herkunftsländern einzusetzen. Nach dem Abschluss des Workshops waren die jungen Frauen und Männer - aufgeteilt in Kleingruppen - noch in Linz, Salzburg, Wien und Graz zu Gast, bevor sie in ihre Heimatländer zurückreisten.
Mit dabei in St. Pölten waren Angehörige der Anglikanischen, Armenisch-apostolischen, Chaldäisch-katholischen, Griechisch-orthodoxen, Koptisch-orthodoxen, Lutherischen, Maronitisch-katholischen, Melkitisch-katholischen, Presbyterianischen, Römisch-katholischen, Syrisch-katholischen und Syrisch-orthodoxen Kirche. Die Gruppe wurde von Theologinnen und Theologen der ökumenisch ausgerichteten "We Choose Abundant Life"-Gruppe aus dem Libanon, Jordanien, Palästina und Ägypten sowie von "Pro Oriente"-Projektreferentin Viola Raheb begleitet. Letztere ist gemeinsam mit P. Gabriel Hachem, dem Koordinator der Gruppe, auch die Hauptverantwortliche und Initiatorin des Gesamtprojekts, das "Pro Oriente" in Kooperation mit "We Choose Abundant Life" durchführt.
Besuche in den Bundesländern
Auf Einladung der Salzburger "Pro Oriente"-Sektion verbrachte schließlich eine siebenköpfige Gruppe noch einige Tage in Salzburg. Die jungen Frauen und Männer trafen u.a. mit örtlichen Firmlingen zusammen und mit Mitgliedern des Ökumenischen Arbeitskreises von Salzburg. Weiters besuchten sie etwa das "Beth Suryoye" (Syrisches Haus) der Syrisch-orthodoxen Kirche und das Stille-Nacht-Museum Hallein.
Fünf Mitglieder der Nahost-Gruppe waren in Oberösterreich zu Gast. Für sie gab es unter anderem Begegnungen an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz, der Katholischen Privat-Universität Linz und einen Besuch im Stift Schlägl. Organisiert wurde der OÖ-Besuch von der Linzer Pro Oriente-Sektion.
In Graz war eine weitere Teilgruppe u.a. im bischöflichen Bildungscampus Augustinum und bei der Caritas zu Gast. Ein Höhepunkt des Besuchsprogramms war der Ausflug ins Zisterzienserstift Rein. Organisiert wurde der Besuch in der Steiermark von der Grazer Pro Oriente-Sektion.
Eine vierte Gruppe war einige Tage in Wien zu Gast. Organisiert wurden die Tage vom Team von "Kirche im Dialog" (Pastoralamt der Erzdiözese Wien). Die Gruppe besuchte u.a. die Pfarre Hildegard Burjan, wo Pfarrer Martin Rupprecht die multinationale und interkulturelle Gemeinde vorstellte. Dazu kamem ein Besuch des Bildungscampus Flora Fries und im Mädchenzentrum "peppa", einer seit 2009 bestehenden Einrichtung der Caritas, wo Mädchen und jungen Frauen ein geschützter Raum, gemeinsame Freizeitgestaltung und Beratung geboten wird. Weiters fand u.a. ein Zusammentreffen mit österreichischen jungen Christinnen und Christen statt, die in ihren Kirchen und Gemeinschaften auch an ökumenischen und interreligiösen Projekten arbeiten.
Quelle: kathpress