Wien: Vermächtnis von Judaistik-Doyen Kurt Schubert wirkt weiter
An die bleibenden Verdienste von Kurt Schubert (1923-2007) für die Wissenschaft, den Religionsdialog und die Aufarbeitung des Antisemitismus in Österreich ist an der Universität Wien erinnert worden. Der in Wien geborene katholische Theologe, der in der Nachkriegszeit zum Doyen der Judaistik wurde, wäre vor wenigen Tagen 100 Jahre alt geworden. Spitzenvertreter der Universität wie auch aus Kirche, Judentum und Politik sowie Familienangehörige, Wegbegleiter und Studenten Schuberts riefen in einem Festakt am Dienstagabend Schuberts "in die Gegenwart reichendes Vermächtnis" ins Gedächtnis und bekannten sich in seinem Sinn zu weiterem Dialog und zur Aufarbeitung der antisemitischen Vergangenheit.
Von einer "zentralen Figur der österreichischen Geschichte und auch der Geschichte der Universität Wien" sprach deren Rektor Sebastian Schütze. Kurt Schubert habe weit hinaus über seiner Rolle für die Begründung und universitären Verankerung der Judaistik in Wien ein "großes Zeichen gesetzt für Dialog, Aussöhnung, Aufarbeitung und Erinnerung" - überzeugt davon, dass dahinter stets ein tiefes Verständnis des Judentums stehen müsse. Für die Universität Wien habe er den Anstoß für die intensive Beschäftigung mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte gegeben, allen voran jenen der jüdischen Verfolgung und Vertreibung in der Gesera (1420/21) und in der NS-Zeit. Das Erinnern an diese Kapitel sei "nicht abgeschlossen" und müsse ein "kontinuierlicher Prozess" sein, so Schütze.
Schuberts Anliegen würden von der Universität Wien heute weiter vorangetrieben, bekannte Rektor Schütze. Einerseits blieben Judaistik, jüdische Kultur und Geschichte sowie das Eintreten gegen Antisemitismus wichtige Themen in Forschung und Lehre, sei doch Bildung laut Schubert "die wichtigste Waffe gegen Antisemitismus" und für die Festigung der Demokratie entscheidend. Schubert habe aber auch intensiv "in die Gesellschaft hineingewirkt", was heute auf Neudeutsch als "Third Mission" bezeichnet werde. Die von ihm gebauten Brücken reichten von der Gründung des jüdischen Museums Eisenstadt oder dem Zentrum für jüdische Studien an der Universität Olmütz bis zum "Kurt and Ursula Schubert Archive" am Centre of Jewish Art der Hebrew University in Jerusalem.
Liebe zu jüdischen Wurzeln
Als "zutiefst engagierter gläubiger Katholik" wurde Schubert von Kardinal Christoph Schönborn gewürdigt. Ein Ausspruch des Judaisten, die Rede von der Auferstehung Jesu hätte sich "keinen Tag lang halten können in Jerusalem, wenn das Grab nicht leer gewesen wäre", sei für ihn selbst zum Schlüsselsatz geworden, erklärte der Wiener Erzbischof. Überzeugt gewesen sei Schubert zudem davon, dass ein gläubiger Christ "ein tiefes Verständnis und Liebe zu den jüdischen Wurzeln des Christentums" haben müsse. Mit Nachdruck und Ausdauer habe sich Schubert auf eine verstärkte Einbeziehung der jüdischen Sicht in die christliche Theologie und Glaubensverkündigung eingesetzt.
Kennengelernt habe er Schubert 1973 in seiner eigenen Zeit als Studentenseelsorger in Graz, sagte Schönborn. Dessen Studierende hätten damals von seinen fesselnden Vorlesungen, die stets ohne Manuskript gehalten wurden, geschwärmt. Später habe er sich selbst erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Universität Fribourg Kurt Schubert "nicht ohne seiner Frau Ursula" - die 1999 verstorbene Gattin war Orientalistin, Hebräistin und Expertin für jüdische Kunst - die Ehrendoktorwürde verlieh. Bedauern äußerte der Kardinal darüber, dass Schuberts "immense Kompetenz" und sein Engagement für die Theologie von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien lange Zeit verkannt worden sei.
Pionier des Dialogs
Auch von jüdischer Seite wurde bei dem Festakt Schuberts "Pioniergeist, Engagement, langer Atem und Weitsicht" sowie dessen "nicht nur akademische Liebe zu Israel" gewürdigt - vom Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Benjamin Nägele. Schubert habe schon zu Beginn seiner Laufbahn noch während der NS-Zeit durch das Hebräisch-Studium seine "innere Solidarität" mit dem verfolgten Judentum zum Ausdruck gebracht und dann nach Kriegsende als allererste Vorlesung der unter seinem Mitwirken wiedereröffneten Universität Wien "Hebräisch für Anfänger" angeboten. Besonders verwies Nägele auf den von Schubert mitbegründeten und lange als Präsident geleiteten Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit. "Wir wissen diesen Austausch und die Zusammenarbeit bis heute enorm zu schätzen und freuen uns, ihn weiterzuführen", unterstrich der IKG-Generalsekretär.
Der aktuelle Koordinierungsausschuss-Vorsitzende Martin Jäggle wies auf Schuberts Verdienste als "Wegbereiter und Wegbegleiter für bleibendes Neues" hin. Das betreffe auch Institutionen, die er ins Leben rief. Bereits 1957 konnte er in Wien mit Hilfe von Kardinal Franz König den - schon damals ökumenisch verfassten - Koordinierungsausschuss gründen. 1971 wurden dann bei der Diözesansynode seine Forderungen zur Erneuerung von Liturgie, Verkündigung und Religionsunterricht verabschiedet. Dabei sei es Schubert um eine starke Aufwertung des Alten Testaments gegangen, dessen Eigenwert anerkannt werden müsse, sei das Neue Testament doch ein Verkündigungskorpus, der auf dem Alten Testament aufbaue. Jäggle erinnerte zudem an Lebensfragen Schuberts, die hinter den von ihm angestoßenen Initiativen standen: Wo hat der Antisemitismus seine Wurzel? Wie konnte es kommen, dass gerade das Christentum zum Mutterboden für den Rassen- und Vernichtungsantisemitismus wurde?
Schutträumung und Lebensmittel-Vergabe
Als früher Wegbegleiter kam auch der Hans Tuppy (98), der in seiner Laufbahn u.a. Rektor der Universität Wien und Vorsitzender der Rektorenkonferenz, Präsident der Akademie der Wissenschaften und Wissenschaftsminister war, zu Wort. "Damals waren die Studenten aktiver als die Professoren", erinnerte sich der Biochemiker und Mitbegründer der Wiener Katholischen Hochschulgemeinde zurück. Schuberts Vermittlung und seiner Kontakte über die Hochschulseelsorge sei es zu verdanken, dass die Universität nach dem Einzug der Roten Armee 1945 ihre Tore wieder öffnen konnte und die "versteckten, verschüchterten und verängstigten" Professoren zurückkehrten. Er habe auch einen akademischen Senat gebildet, der zunächst ganz praktische Herausforderungen stand: die Befreiung der Universität von Schutt und die Lebensmittel-Zuteilung an Studierende und Lehrende. Schubert sei bereits hier "als Homo academicus ein großes Vorbild" gewesen, so Tuppy.
Der amtierende Wiener Judaistik-Institutsvorstand Gerhard Langer konnte bei dem Festakt auch den Rektor der Palatzky Universität Olomuc, Martin Prochazka, begrüßen, der die "Brückenfunktion" Schuberts durch die federführende Mithilfe beim Aufbau des Faches an seiner Hochschule und dessen Beitrag zum Abbau antisemitischer Vorurteile in Tschechien würdigte. Die Dekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Christina Lutter, bezeichnete Schubert als "leidenschaftlichen Aufklärer und Erzähler". Obwohl die von ihm begründete und breit angelegte Judaistik ein kleines Fach sei, habe sie "eminente Bedeutung für die Universität" und sei unverzichtbar. Schubert habe das Ziel verfolgt, "Menschen durch Wissen zu verändern", so die Historikerin, die zudem auf die 2017 abgeschlossene Digitalisierung von Schuberts akademischem Nachlass sowie dessen Übersetzung ins Englische in Erinnerung rief.
Verdienste und Auszeichnungen
Kurt Schubert, geboren 4. März 1923 in Wien, wurde 1956 außerordentlicher Professor für Judaistik und gründete 1966 das Institut für Judaistik, das er bis 1993 leitete. Er forschte und lehrte über verschiedenste Bereiche seines Fachgebietes, behandelte jüdische Geschichte, Literatur, Kultur und Religion von den biblischen Anfängen bis zur Gegenwart und initiierte auch die Gründung des Österreichischen Jüdischen Museums in Eisenstadt. Darüber hinaus war Schubert lange Zeit Direktor der Wiener Internationalen Hochschulkurse sowie auch Präsident des Katholischen Akademikerverbandes und des Katholischen Bibelwerks. Sein unermüdlicher Einsatz für Religionsdialog fand ihren Ausdruck u.a. in der Gründung des "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit", dessen Präsident er ebenfalls lange Zeit war.
Für sein vielfältiges Engagement erhielt Kurt Schubert viele Auszeichnungen, darunter das Großes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1973) und den Kardinal-Innitzer-Preis der Erzdiözese Wien (1977). 2006 ehrte ihn das International Council for Christians and Jews für sein Engagement im Dienst interreligiöser Verständigung mit dem "ICCJ Sir Sigmund Sternberg Award", im selben Jahr wurde in Olmütz (Olomuc) ein "Kurt und Ursula Schubert Center for Jewish Studies" eröffnet. Schubert starb am 4. Februar 2007. Seit 2010 wird der Kurt-Schubert-Gedächtnispreis verliehen.
Quelle: kathpress