Salzburg: Interreligiöse Tagung im Zeichen von "Religionen und Angst"
Eine ängstliche Form der Religiosität widerspricht dem Wesen christlicher Spiritualität: Das betonte der Philosoph, Theologe und Psychotherapeut Prof. Emmanuel Bauer OSB bei der Tagung "Religionen und die Angst" der "Kommission Weltreligionen" der Österreichischen Bischofskonferenz am Mittwoch im Salzburger BIldungszentrum St. Virgil. Referatsbischof Werner Freistetter hob in seinen Begrüßungsworten das "angst- und gewaltreduzierende Potenzial" von Religion im Allgemeinen hervor. Er verwies auf die in der Bibel häufig zu findende Formulierung "Fürchtet euch nicht!". Der Dialog sei eine Form, Ängsten zu begegnen und diese zu reduzieren und damit auch die Gewaltbereitschaft. Angst sei als rationale Begleiterin, als Warnung vor Bedrohungen ebenso gegenwärtig, wie in ihrer irrationalen Form.
"Genuin christliche Religiosität will Vertrauen statt Angst", unterstrich Prof. Bauer. Freundschaftliche Gottesbeziehungen seien dafür zeichenhaft, die Formulierung "Gott ist die Liebe" die Zusammenfassung der christlichen Botschaft. Wo Liebe ist, hat Furcht laut Bauer "keinen Platz". Vertrauen ist für ihn die existenzielle Gegenkraft zur Angst.
Zu Beginn seines Vortrags "Die ambivalente Rolle der Angst im religiösen Leben" stellte Bauer den Vorwurf Bertrand Russels, die Religion stütze sich vor allem auf die Angst in den Raum. Bauer hinterfragte anschließend die These "Ohne Angst keine Religion!?" Für den Benediktinerpater ist Angst "die wesentlich subjektiv mitbestimmte emotionale Resonanz auf erlebte oder sich ankündigende Unsicherheit, die aus der Brüchigkeit der materiellen oder psycho-sozialen existenziellen Grundlagen des eigenen Lebens" resultiert, ebenso "einer direkten Bedrohung der eigenen Unversehrtheit, dem sich abzeichnenden Verlust der Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortlichkeit oder der Sorge um das Wohl geliebter Menschen".
Angst sei, betonte Bauer, eine ständige, oft gut integrierte, manchmal störende, aber notwendige Begleiterin des menschlichen Daseins und Lebens. Ein ehrlicher Blick ins Leben würde zeigen, dass Angst in jeder Lebensphase vorkommt. Angststörungen gelten heute als die häufigste Form der psychischen Störung und sind trotzdem tabuisiert. Sie treten derzeit bei Jugendlichen gehäuft auf. Komorbidität sei besonders oft eine Depression. Eine große Rolle von Angst habe mit Grundbedingungen des menschlichen Lebens zu tun, erklärte Bauer. "Damit sich das Leben gut entfalten kann, braucht es ein Mindestmaß an Sicherheit und Geborgenheit." Zudem brauche der Mensch die innere Gewissheit, was er mit seinem Leben will, was wiederum Orientierungspunkte verlange.
Der Mensch brauche neben Schutz, auch Raum und Halt. Er brauche einen ausreichend freien Lebensraum, um "frei atmen zu können" und die eigenen Fähigkeiten und Interessen entfalten zu können. Dieser Raum müsse jedoch auch mit Entschiedenheit eingenommen und genutzt werden. Zudem seien verlässliche soziale Beziehungen, die Stabilität der eigenen Gesundheit und ausgebildete Charakterstärke wesentlich. Und nicht zuletzt "die Überzeugung eines grundsätzlichen Getragen-Seins durch eine Transzendenz, von der ich mich geschenkt weiß".
Krankmachende" vs. "gesunde" Angst
Ist der innere Halt bedroht, steigt Angst auf, erklärte Bauer weiter. Angst sei ein "komplexes Phänomen", das ins Leben "einbricht", wenn die Sicherheit bedroht ist. Bauer unterschied zwischen "krankmachender" und "gesunder" Angst. Sie sei zugleich schlechter Ratgeber und hilfreicher Wegbegleiter. Krankmachende Angst sei eine überschießende "irrationale", unangemessene Reaktion, etwa eine generalisierte Angststörung, Phobien, sie beeinträchtigt das Leben, in Form einer Lähmung, Einengung, innerer Unruhe - im Unterschied zur Furcht habe die Angst kein konkretes "Wovor?".
Die gesunde Angst sei hingegen eine realistische, adäquate Reaktion: Überlebenshilfe, schützende Abwehrkräfte mobilisierend, könne sie eine innere Wachsamkeit ins Leben rufen. Bauer beschrieb diese Angst als "lebendige, feinsinnige Sorge um eine erfüllte Existenz". Er zitierte den Psychiater Karl Jaspers: "Die Angst um das eigentliche Sein ist ein Grundzug des erwachten Menschen. (...) Wo die Angst verschwindet, ist der Mensch nur noch oberflächlich."
Integrales Moment menschlicher Existenz
Angst als integrales Moment menschlicher Existenz müsse in irgendeiner Weise auch in der religiösen Einstellung und Praxis des Menschen anzutreffen sein, betonte Bauer und differenzierte dabei zwischen Religion, Religiosität und Spiritualität. In der Gottesfurcht zeige sich Angst als intrinsisches Moment der Religion. In der christlichen Tradition tritt der freundschaftliche Aspekt zu Gott in den Vordergrund. Bauer wies auf die "Ambivalenz zwischen Furchtlosigkeit und Ehrfurcht" hin. Die Dimension der Gottesfurcht als gelebte Frömmigkeit spiele auch im Koran eine entscheidende Rolle. Sie unterscheide gläubige Muslimen von frevelhaften Heiden und bestehe im Bewusstsein, dem Schöpfer sein Dasein zu verdanken (Sure 6, 74ff.), sowie in der Gesetzestreue (Sure 4, 128f.) und Redlichkeit gegenüber Mitmenschen (Sure 3, 75f.)."
Bauer beschrieb Religion einerseits als Befreiung von Angst in Form einer natürlichen Rolle der Angst in der Religiosität. Andererseits beschrieb er Religion als "Brutstätte von Angst", mit Tendenz zum religiösen Leistungsdenken, die Neigung zur zwanghaften Religiosität, den Hang zur Rigidität (strenge Askese, Intoleranz gegenüber anderen Menschen). Für ihn zeige sich somit die "ambivalente Präsenz der Angst in der Religiosität": Phänomene einer von Angst gestörten Religiosität und das Phänomen einer sensiblen, wachen Form der Religiosität. Für die Frage von Ursache und Wirkung seien die subjektive psychische Verfassung, das Gottesbild und die religiöse Sozialisation zu beachten.
Falsche Gottesvorstellungen
In den meisten Fällen sei eine ängstliche Persönlichkeitsstruktur für falsche Gottesvorstellungen und fragwürdige Formen der Religiosität. Natürlich könne auch umgekehrt eine falsch gepolte Religiosität eine Angststörung mit verursachen, zumindest befeuern. Studien haben gezeigt: Meditation, Vertrauen und Gemeinschaft als Teil des religiösen Lebens wirken angstlösend. Angstwerte korrelieren zudem mit Religiositätswerten. Und psychische Belastung führt zu höherer Religiosität.
Abschließend zeichnete Bauer die Rolle der Angst im Horizont der Religiosität im Überblick: Religiosität als Hilfe im Umgang mit existenziellen Ängsten und Angst im Sinne der Ehrfurcht, der Gottesfurcht hat auch intrinsischen Stellenwert. Zudem lasse sich eine Angst im Sinne der Wachheit und Sensibilität für das Göttliche in der Welt als "wertvoll" bezeichnen. Dem gegenüber stehe die Instrumentalisierung der Angst im religiösen Kontext im Sinne einer schwarzen religiösen Pädagogik.
Perspektiven aus den Religionen
Weitere Referentinnen und Referenten brachten bei der Tagung vielfältige Perspektiven aus dem evangelischen Christentum, dem Judentum, dem Islam und dem Buddhismus ein. An die große Dimension von Nächstenliebe, der Aufnahme Geflüchteter inklusive, und von Gottesliebe zum Menschen erinnerte die Wiener evangelische Theologin Susanne Heine. Die Zukunft der Religionen zeige sich im Umgang der Menschen miteinander.
Gabriel Strenger, Psychotherapeut in Jerusalem, betonte, "es ist gut, dem Kinde im Menschen etwas zu geben. Es ist nicht gut, Menschen zum Unmündigen zu erziehen".
Die Wiener Psychotherapeutin Mariam Rahman hob aus islamischer Perspektive Gottvertrauen als Basis für Resilienzforschung hervor. Ehrfurcht vor Gott zu haben, sei zudem die rationale Angst vor der Größe Gottes. "Die Angst vor dem Erschaffer soll dazu motivieren, Gutes zu tun", sie könne aber auch überhandnehmen.
Christoph Köck, katholisch sozialisierter Psychotherapeut und Meditationslehrer aus Wien, hob hervor, dass der Schlüssel in der Begegnung mit Angst in der buddhistischen Praxis in Werten und Haltungen des eigenen Weges liegt, etwa Mitgefühl, Ethik, Gemeinschaft, Lernfähigkeit und Herzensbildung inkl. des Bewusstseins um ein begrenztes "Ich". Wesentlich dafür sei es, tiefer in sich hineinzublicken. (Infos: www.kommissionweltreligionen.at)
Quelle: kathpress