
Theologe: Familie von Gesellschaft "unzureichend anerkannt"
Die - in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftretende - Familie wird in Österreich nach wie vor als Ideal gesehen, aber gesellschaftlich nur "unzureichend anerkannt". Darauf machte der katholische Theologe und Familienexperte Gerhard Marschütz im Gespräch mit der Kooperationsredaktion der Kirchenzeitungen (Mittwoch) aufmerksam. Das belaste vor allem Frauen, die heute häufig "zwei- und dreifach belastet" seien. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie werde nach wie vor ausschließlich als Frauenthema diskutiert. "Dazu kommt noch eine strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Familien in der Gesellschaft", kritisierte der Theologe.
Am 15. Mai begehen die Vereinten Nationen den Tag der Familie. Das ist heuer der Tag nach dem Muttertag. Die Realität - auch in Österreich - sei längst von verschiedenen Familienformen geprägt, so Marschütz. Trotzdem herrsche das "bürgerliche Bild der Kernfamilie" vor: "Vater, Mutter, verheiratet und leibliche Kinder". Das sei im weltweiten und geschichtlichen Blick nicht haltbar, wo es schon immer verschiedenste Familienmodelle gegeben habe.
Die Sehnsucht nach Familie sei auch unter jungen Menschen ungebrochen groß, so der Experte. In der Realität lebten Familienmitglieder aber nicht nur im "System Familie", sondern etwa auch im "System Beruf", wo Durchsetzungsvermögen, Härte und Karrieredenken vorherrschten. "Zwischen diesen Werten und den Familienwerten wie Liebe, Vertrauen und Geborgenheit kann es knirschen", gab Marschütz zu bedenken. Das führe nicht selten zu Konflikten. In Österreich seien Opfer von häuslicher Gewalt fast ausschließlich Frauen.
"Feindbild" Gender-Studies
Der katholischen Kirche wirft der Theologe vor, bei Gender-Fragen schlecht in informiert zu sein. "Weder Benedikt XVI. noch Franziskus scheinen angemessen zu wissen, worum es in den Gender-Studies geht. Da wird ein Feindbild aufgebaut, das der katholischen Denklogik entgegengesetzt zu sein scheint." So nehme Franziskus mit seiner Ehe- und Familientheologie, wie seine Vorgänger, "klare Ausgrenzungen" vor. "Diese betreffen etwa Personen, die eine gleichgeschlechtliche Beziehung leben möchten."
So hatte der Papst etwa bei seinem kürzlichen Besuch in Budapest die ungarische Familienpolitik ausdrücklich gelobt. Dort kämpfe eine massive "Anti-Gender"-Bewegung dagegen, dass man Geschlechterunterschiede als soziale Übereinkunft hinterfrage, gab der Theologe zu bedenken. "Im Bereich von Ehe, Familie und Sexualität hat er nichts verändert. Das ist ihm offensichtlich zu heiß." Zudem gebe es heftige Gegendynamiken. So habe bereits die behutsame Formulierung zu wiederverheirateten Geschiedenen im Lehrschreiben "Amoris laetitia" ausgereicht, dass dies von einigen Kardinälen als "nicht mehr katholisch" markiert wurde, so Marschütz.
Die Kirche müsse anerkennen, dass es Ungleichzeitigkeiten in der Welt gebe. Franziskus habe bereits vor Jahren von der Notwendigkeit einer "heilsamen Dezentralisierung" gesprochen, "er löst das aber kaum ein", befand der Theologe. "Aber warum sollen westliche Gesellschaften noch einmal 100 Jahre warten?" Vor 30 Jahren sei auch in Österreich das Thema Homosexualität noch im Strafrecht behandelt worden, das sei in ganz Europa in den vergangenen Jahrzehnten weggefallen. Gerade in diesen Bereichen gehe es, ohne "hochnäsig zu sein", darum, die Probleme dezentralisiert unterschiedlich zu lösen.
Quelle: Kathpress