
Theologe Lintner plädiert für neue Tierethik
Für ein besseres Mensch-Tier-Verhältnis auf Basis einer fundierten Tierethik, die es noch zu erarbeiten gilt, hat der Südtiroler Theologe Prof. Martin Lintner plädiert. Im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" wies Lintner auf zahlreiche aktuelle Baustellen hin. "Über die Bedeutung der Mensch-Tier-Beziehung im Licht des Glaubens zu reflektieren ist etwas, was bisher zu kurz gekommen ist. Es ist aber immer mehr Menschen ein Bedürfnis", so der Theologe.
Dazu komme, "dass sich unser Lebens- und Konsumstil ebenso wie die Klimaveränderung ganz extrem auf die Lebensbedingungen von Tieren auswirken." Dies betreffe zum einen die ca. 80 Milliarden Tiere, die weltweit pro Jahr geschlachtet werden, und die oft unter schlechtesten Bedingungen gehalten und getötet werden. Und dann gebe es die vielen Wildtiere, "denen wir zunehmend den Lebensraum nehmen".
Derzeit erlebe man ein weltweites Massensterben an Tieren und Pflanzen als Folge menschlicher Handlungen und Entscheidungen. "All diese Entwicklungen rufen nach einer Tierethik", so Lintner.
Zur Frage nach einem adäquaten christlichen Mensch-Tier-Verhältnis antwortete Lintner mit einem Zitat von Albert Schweitzer: "Wenn wir das Leben deuten als Geschenk Gottes, dann können wir nicht anders, als in jedem Lebewesen etwas von der lebensspendenden Güte und Liebe Gottes zu erkennen." Lintner: "Wie wir Tiere behandeln, darin spiegelt sich auch etwas von unserem Glauben an den Schöpfergott wider."
Die Bibel sei klar: Sowohl in der ersten wie in der zweiten Schöpfungserzählung finde man den Auftrag an den Menschen, für die Tiere Sorge zu tragen. Papst Franziskus stelle in seiner Enzyklika Laudato si' klar, "dass wir die Bibelstelle Genesis 1,28, derzufolge wir die Erde unterwerfen und über die Tiere herrschen sollen, missverstehen, wenn wir daraus einen Freibrief für Ausbeutung herauslesen. Vielmehr sind uns Fürsorge und Pflege aufgetragen."
Aus theologischer Sicht müsse man zudem noch viel intensiver über die Bedeutung nachdenken, "dass Gott nach der Sintflut auch mit den Tieren einen Bund geschlossen hat und dass die gesamte nichtmenschliche Schöpfung, also auch die Tiere, in das Heilsgeheimnis Christi eingeschlossen sind".
Fleischkonsum reduzieren
Im Blick auf die 80 Milliarden Tiere, die jedes Jahr geschlachtet werden, sprach Lintner auch von einem gravierenden umweltethischen Problem, "denn um diese Anzahl an Tieren zu füttern, braucht es derzeit ca. ein Drittel der Landoberfläche der Erde. Davon könnte ca. 80 Prozent für die Produktion von pflanzlicher Nahrung für Menschen verwendet werden."
Zudem sei es ein Skandal, "dass mehr als ein Drittel der weltweit für die Fleischproduktion gezüchteten Tiere letztlich als Müll vergeudet wird, weil Tiere an Krankheiten versterben, wegen Seuchen gekeult werden, Schlachtabfälle, die nicht verwertet werden, oder aber weil Fleisch schlecht wird, vor allem in klimatisch heißen Ländern, in denen es nur unzureichende Kühlmöglichkeiten gibt".
Insgesamt werde man um eine ganz signifikante Reduktion des Konsums von tierischen Lebensmitteln nicht herumkommen, nicht nur wegen der Tiere, sondern auch wegen der Auswirkungen der Tierhaltung auf die globale Klimaerwärmung im Kontext der intensiven Landwirtschaft.
Im Akkord Tiere töten
In der Debatte vergesse man zudem oft ein weiteres Problem: die Menschen, die in den Schlachtbetrieben arbeiten. Im Akkord Tiere zu töten, gehöre zu den belastendsten Tätigkeiten. Lintner: "Beschäftigte in Schlachthöfen - besonders Schlachtende - tragen wegen der permanenten Gewaltausübung gegenüber den Tieren ein erhöhtes Risiko für ungünstige Bewältigungsstrategien wie emotionale Verhärtung und Substanzmissbrauch bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen." Diese Warnungen würden aber nicht Tierschutzorganisationen aussprechen, sondern das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.
Darauf angesprochen, dass sich immer mehr Tiersegnungen rund um den 4. Oktober, den Gedenktag des hl. Franz von Assisi, etablieren, meinte der Theologe, dass diese Segnungen helfen könnten, die christliche Bedeutung der Tier-Mensch-Beziehung zum Ausdruck zu bringen. In diesem Sinne seien sie zu begrüßen. Allerdings sehe er hier noch Bedarf, wirklich gute liturgische Vorlagen zu erarbeiten und zur Verfügung zu stellen.
Quelle: kathpress