
Bischof Scheuer: Jägerstätter Vorbild durch "Unterscheidung der Geister"
Franz Jägerstätter, vor 80 Jahren, am 9. August 1943 von den Nazis ermordeter Kriegsdienstverweigerer und 2007 von der Kirche Seliggesprochener, "realisierte die Widerstandskraft des Glaubens gegenüber barbarischen Systemen der Menschenverachtung und der Gottlosigkeit". Mit diesen Worten würdigte der Linzer Bischof und ehemalige Postulator im Seligsprechungsprozess, Manfred Scheuer, den Märtyrer in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" (3. August). Jägerstätter habe die Gabe der "Unterscheidung der Geister" ausgezeichnet - ein Sensorium, das den Blick "hinter die Masken der Propaganda und hinter die Rhetorik der Verführung" ermögliche und Fehlentwicklungen schon im Ansatz erkennen lasse, schrieb Scheuer.
Mit diesem auch heute wichtigen "geistigen Frühwarnsystem" sei Jägerstätter in der Lage gewesen, "Antriebe, Motive, Strömungen und Tendenzen im individuellen, aber auch im politischen Bereich zu Ende zu denken und zu Ende zu fühlen". Der Bischof zeigte sich beeindruckt von dieser prophetischen Hellsichtigkeit des Seligen. "Franz Jägerstätter war und ist Wegbegleiter in der Suche nach Versöhnung und Frieden, so im Vietnamkrieg für US-Amerikaner, er ist Mahner für Gewaltlosigkeit und Abrüstung in den Zeiten atomarer Hochrüstung der 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er war Anwalt auf der Suche nach der rechtlichen Verankerung von Zivil- und Friedensdienst", verwies Scheuer auf die bleibende Bedeutung des Innviertler Bauern und Mesners.
"Sieger" über die Kriegsgeneration?
2007 habe es allerdings nicht nur Wertschätzung für den neuen Seligen gegeben, erinnerte sich der Bischof an einen Brief, in dem der Kirche vorgeworfen wurde, sie predige mit der Seligsprechung den Hass auf die Kriegsgeneration. "Ist er besser, und sind die anderen schlechter? ... Ist er jetzt der Sieger - und sind jetzt die anderen durch die Kirche zu Verlierern gestempelt?": Solche Fragen seien immer wieder zu hören, berichtete Scheuer.
Dem hielt er entgegen: Die Seligsprechung sei "nicht in der Logik des Hasses, der Konkurrenz, des Neides, der Auf- oder Abwertung" zu sehen. Jägerstätter selbst habe um die Richtigkeit seiner Gewissensentscheidung, die auch seine Frau Franziska und seine drei Töchter als Hinterbliebene massiv betraf, lange ringen müssen. Für Scheuer ist der wegen Wehrkraftzersetzung zum Tod Verurteilte ein Beispiel für ein "gebildetes und reifes Gewissen": Jägerstätter habe sich dem Gespräch, dem Rat, der Korrektur durch andere ausgesetzt. "Seine Entscheidung kam sicher nicht aus der Arroganz dessen heraus, der ohnehin alles besser weiß und keinen anderen braucht."
Nicht der Mehrheit nach dem Mund reden
Jägerstätter sei jedoch auch keiner gewesen, der der Mehrheit nach dem Mund redete, wies der Bischof hin. So sei er zum "einsamen Zeugen" des Gewissens geworden, "das sich für ihn nicht durch die Autorität der Obrigkeit suspendieren ließ". In seinem Berliner Gefängnis schrieb Jägerstätter 1943: "Keiner irdischen Macht steht es zu, die Gewissen zu knechten. Gottes Recht bricht Menschenrecht."
Die Historikerin und Jägerstätter-Biografin Erna Putz betonte in derselben "Furche"-Ausgabe die aktuelle Vorbildhaftigkeit des Seligen: "Wenn es darum geht, nicht mitzulaufen, sondern für die Überzeugung einzustehen, ist Jägerstätters Beispiel gerade heute wesentlich." Sich selbst ein genaues Bild von der Wirklichkeit zu machen, sei ein hochaktueller Anspruch. "Wenn man den Jungen zeigt, was Fake News sind, dann ist das auch in seinem Sinn", sagte Putz.
Gedenkveranstaltungen zum 80. Todestag
Anlässlich des 80. Todestages Jägerstätters findet am 8. und 9. August in seinem oberösterreichischen Heimatort St. Radegund das jährliche internationale Gedenken statt. Das Programm beginnt am Dienstag um 18 Uhr mit einem Abendgebet in der Pfarrkirche. Tags darauf, am Todestag Jägerstätters, präsentieren Andreas Schmoller und Verena Lorber vom Franz-und-Franziska-Jägerstätter-Institut Linz (FFJI) um 9.30 Uhr im Pfarrheim Tarsdorf die neue digitale Jägerstätter-Edition, die die Gesamtausgabe der Schriften des Ehepaars online zugänglich macht. Um 11 Uhr sorgt Asylexperte Herbert Langthaler mit Ausführungen zum Thema "Verfolgungsgrund Kriegsdienstverweigerung" für Aktualitätsbezüge. Nach einer Fußwallfahrt von Tarsdorf nach St. Radegund, wo zur Todesstunde um 16 Uhr eine Andacht gehalten wird, leitet Bischof Scheuer um 19.30 Uhr in der Pfarrkirche eine Eucharistiefeier, die in eine Lichterprozession zur Jägerstätter-Grabstätte mündet.
Dem Jägerstätter-Gedenken im August ging bereits eine Reihe an Veranstaltungen voraus, die sich dem 80. Todestag widmeten, z. B. die Präsentation der digitalen Jägerstätter-Edition (Juni 2023, KU Linz) und des "Gedächtnisbuches Oberösterreich" (Mai 2023, Mariendom Linz), die Jägerstätter-Ausstellung der Friedensbibliothek Berlin "Besser die Hände als der Wille gefesselt" (Mai-Juni 2023, Mariendom Linz), die Sternwallfahrt der Katholischen Männerbewegung nach St. Radegund (Mai 2023) und die Gedenkfeier in der Ursulinenkirche Linz "Vor 80 Jahren: Verweigerung, Haft, Verurteilung, Tod" (Mai 2023).
Der Innviertler Landwirt, Mesner und Familienvater Franz Jägerstätter (1907-1943) hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, mit der Waffe für das Nazi-Regime in den Krieg zu ziehen. Daraufhin wurde er vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen "Wehrkraftzersetzung" zum Tod verurteilt und vor 80 Jahren, am 9. August 1943, in Brandenburg an der Havel durch Enthauptung hingerichtet. Die Seligsprechung erfolgte am 26. Oktober 2007 im Linzer Mariendom, der liturgische Gedenktag Franz Jägerstätters ist sein Tauftag, der 21. Mai. (Info: www.jaegerstaetter.at)
Quelle: kathpress