
Schönborn: Vereinheitlichung führt immer zu Verlust von Freiheit
Für Kardinal Christoph Schönborn ist die Idee von der Schaffung staatlicher Einheit durch gewaltsame Vereinheitlichung eine der größten Verursacher von Leid in der jüngeren Geschichte. In der Geschichte habe die Ideologie der Vereinheitlichung des Staates stets die Vertreibungen von Minderheiten zur Folge gehabt, warnte der Wiener Erzbischof laut Redemanuskript in seiner Promotionsrede zur Verleihung des Ehrendoktorats der Palacky Universität im tschechischen Olomouc (Olmütz) am Montag. Schönborn erhielt das Ehrendoktorat für seinen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Theologie in Tschechien nach dem Kommunismus, hieß es in einer Erklärung der Theologischen Fakultät der tschechischen Hochschule.
Eine angestrebte Einheit des Staates um den Preis der Vereinheitlichung habe immer zum Verlust von Freiheit geführt, sagte Schönborn, "denn Freiheit gibt es nicht ohne ein wirkliches Ja zu zur Vielfalt". Er nannte etwa die aus dem Westfälischen Frieden (1648) hervorgegangene grundsätzliche Toleranzbereitschaft nach "dem fatalen Prinzip" 'cuius regio eius religio' (lateinisch für wessen Gebiet, dessen Religion), das den Herrscher eines Landes berechtigte, die Religion für dessen Bewohner vorzugeben, als mahnendes Beispiel.
Aktuell bekomme dieses Prinzip "wieder tragische Aktualität". Schönborn nannte etwa die Bestrebungen der Hindunationalisten, Indien in einen Hindustaat zu verwanden, die Buddhisten in Myanmar, die alle Nichtbuddhisten zu Landfremden erklärten, oder "islamische Staaten, die jegliche Religionsfreiheit verweigern". Die Ideologie der ethnischen Vereinheitlichung habe auch "zum unlösbaren und unlebbaren Problem des heutigen Bosnien geführt", in dem "de facto eine Form des ethical cleansing praktiziert wird", so der Wiener Erzbischof.
Warnung vor Vereinheitlichung
Schönborn nahm schließlich auch auf die "Engermanisierung" Tschechiens im Zuge der Machtübernahme der Kommunisten Bezug. Schönborn wurde in Böhmen, im Landkreis Leitmeritz geboren, die Familie musste als Folge der Benes-Dekrete aus der Heimat fliehen. Die Vereinheitlichung sei mit der kommunistischen Machtübernahme "bleierne Wirklichkeit" geworden, so der Erzbischof. "Eine Partei bestimmt alles. Eine gleichgeschaltete Wirtschaft, eine gleichgeschaltete Kultur, Medien, die nur die eine 'Wahrheit' kennen dürfen, die der Partei."
Dazu sei die massive Religionsverfolgung durch den atheistischen Einheitsstaat gekommen. "Ich habe mich schon früh gefragt: Wer hat das bessere Los gezogen: wir, die Heimatvertriebenen, oder die, die geblieben waren?" So habe die Verwandtschaft, die geblieben war, auch alles verloren, "aber dazu auch noch die Freiheit".
"Niemand verlässt freiwillig seine Heimat"
Die 2022 verstorbene Mutter des Erzbischofs, Eleonore Schönborn, habe 2015, als die große Flüchtlingswelle nach Österreich und Deutschland kam, in einem Fernsehinterview mit dem Satz "niemand verlässt freiwillig seine Heimat" viele Menschen berührt, so der Kardinal. Damals, als die Familie Schönborn aus der Heimat fliehen musste, wie heute, sei das Flüchtlingsthema "weltweit von erschütternder Aktualität". Das zeige etwa das Los der Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, wies der Wiener Erzbischof hin.
Auch Papst Franziskus werde nicht müde, auf das Schicksal der Flüchtlinge hinzuweisen. "Die Sehnsucht nach Freiheit ist so groß, dass zahllose Flüchtlinge ihr Leben riskieren, um aus Krieg, Hunger, Diktatur, Zukunftslosigkeit zu flüchten. Die Flüchtlingsströme sagen viel über diese Sehnsucht, die in jedem Menschen lebt", so der Erzbischof. Die Zielländer der Flüchtlinge gäben dabei genaue Angaben darüber, was die Mehrheit der Menschen unter Freiheit versteht: "Sicherheit, normale Lebensbedingungen, Zukunft für die eigene Familie, ungehinderte Ausübung der eigenen Religion, Gestaltung des eigenen Lebens."
Der Grund, warum Europa heute für viele flüchtende Menschen Ziel ihrer Flucht sei, sei also kein anderer, als der, der seine Mutter 1945 veranlasst habe, mit ihren zwei Kindern nach Österreich zu flüchten. "Ich bin Gott von Herzen dankbar, dass heute niemand aus denselben Gründen aus dem Vereinten Europa flüchten muss", so Schönborn. Er hoffe, "dass wir uns alle dankbar daran erinnern, dass diese Situation Europas ganz und gar nicht selbstverständlich ist", schloss der Wiener Erzbischof.
Durch Ehrung zur Versöhnung beitragen
Der Erzbischof, der mit der tschechischen Universität durch offizielle und persönliche Kontakte über viele Jahre hinweg verbunden ist, bezeichnete die Auszeichnung als persönlich "sehr berührendes Zeichen". Ebenso sei es ein Zeichen, die Tschechische Republik und Österreich betreffend, und auch für die Bindung der katholischen Kirche in den beiden Ländern.
In akademischen Kreisen in Tschechien wird immer wieder auf Schönborns Unterstützung bei der Wiederbelebung der theologischen Lehre im Land nach Ende des Kommunismus in der Tschechoslowakei hingewiesen. Unter anderem hielt der Wiener Erzbischof schon bald nach der Samtenen Revolution von 1989 Vorträge an verschiedenen Hochschulen in der damaligen Tschechoslowakei.
Dekan: In Schönborn "Teil unserer Geschichte"
Der Dekan der theologischen Fakultät, Vit Husek, würdigte Schönborn in seiner Laudatio als Person, in der "wir auch einen Teil unserer Geschichte" finden. "Indem wir ihn ehren, indem wir ein Mitglied einer Familie ehren, die am Ende des Zweiten Weltkriegs aus unserem Land vertrieben wurde, können wir vielleicht ein wenig zum Prozess der Versöhnung mit unserer Vergangenheit beitragen", so Husek laut Redemanuskript. So sei es "eine große Ehre für unsere Olmützer Alma Mater, die in diesem Jahr ihr 450-jähriges Bestehen feiert, Sie bald zu den Ihren zählen zu dürfen".
Die nach dem Historiker Frantisek Palacky benannte Universität ist die älteste in Mähren und nach der Prager Karls-Universität die zweitälteste Tschechiens. Die Hochschule hat seit 1990 rund 50 Ehrendoktorate an Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland verliehen, die auf internationaler Ebene einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung von Wissenschaft und Kultur geleistet haben.
Schönborn wurde 1945 im böhmischen Skalken nahe der Stadt Litomerice (Leitmeritz) geboren, wuchs nach der Flucht der Familie aber in Vorarlberg auf. Ab Mitte der 1970er-Jahre lehrte der Dominikanerpater Dogmatik und Theologie des christlichen Ostens an der Schweizer Universität Fribourg. 1980 wurde Schönborn Mitglied der Internationalen Theologenkommission des Heiligen Stuhls. Später war er u.a. Redaktionssekretär des 1992 veröffentlichten "Weltkatechismus" der katholischen Kirche. Nach seiner Ernennung zum Weihbischof 1991 wurde Schönborn 1995 Erzbischof von Wien. Seit 1998 gehört er auch dem Kardinalskollegium an.
Quelle: kathpress