Walser: Kluft zwischen Lehre und Praxis fördert Doppelmoral
"Die Gefahr einer Kluft zwischen flexibler pastoraler Praxis und unveränderlicher Lehre befördert die typisch katholische Doppelmoral": So lautet das Fazit der Salzburger Moraltheologin Angelika Walser zu den am Dienstag vom Vatikan veröffentlichten Antworten des Papstes auf die Anfragen von fünf Kardinälen ("Dubia"). Zwar setze der Papst bei der Segnung homosexueller Paare auf die Eigenverantwortung der pastoral Tätigen, anstelle von Vorschriften. Erforderlich sei aber die Änderung normativer Regelungen, betonte die Moraltheologin am Donnerstag im Interview mit Kathpress. Beispiele für erfolgte Änderungen bei der Lehre seien etwa die Themen Organspende oder Todesstrafe.
Menschenwürde lasse sich nicht allein durch Barmherzigkeit und pastorale Klugheit schützen, betonte die Professorin an der Universität Salzburg gegenüber "Kathpress". Zwar seien die "Dubia"-Antworten im globalen Kontext der Weltkirche ein erster Schritt, "hierzulande ist es natürlich viel zu wenig", konstatierte Walser, die zudem Erkenntnisse der Humanwissenschaften bezüglich Sexualität vermisste.
Trotz der Zeichen für Wertschätzung gegenüber nichtehelichen Partnerschaftsformen sei die Kirche "noch Lichtjahre von sexueller Selbstbestimmung und Gerechtigkeit für homosexuelle Paare entfernt", da noch mit einer "Barmherzigkeit für Sünder" argumentiert werde, so Walser. Sie verwies aber auch darauf, dass Änderungs-Prozesse innerhalb der Kirche meist "ein langes Ringen" bräuchten. "Bezüglich Sexualmoral sind wir zumindest aus lehramtlicher Perspektive gerade erst einmal am Anfang".
Einzelfall und Gewissen
In der Antwort des Papstes auf Anfragen einiger Kardinäle betreffend der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare orientiere sich der Papst wohl an der Tugend der Epikie, wonach generell formulierte Normen in einer besonderen Situation persongerecht angewendet werden müssten, erklärte Walser. Die Kompetenz dazu habe jeder Einzelne kraft seines Gewissens: "Der Papst argumentiert hier also sehr stark mit personalen Denkformen der Moraltheologie und überwindet damit die Fixierung auf den Akt." Franziskus orientiere sich dabei an der Theologie der "Persongerechtigkeit", die auf die Schutzpatrone der theologischen Ethik, Thomas von Aquin (1225-1274) sowie Alfons Maria von Liguori (1696-1787), zurückgeht.
Laut der Moraltheologin zieht der Papst mit seinen Argumenten eine klare Linie durch: Walser verwies dabei auf das im Jahr 2016 erschienene nachsynodale Schreiben "Amoris laetitia" über die Liebe in der Familie, in dem Franziskus bereits die Funktion des Gewissens des Einzelnen betont hatte. "Wahrheit ist also nichts fest Vorgegebenes, sondern ein Suchprozess", fasste die Theologin mit Forschungsschwerpunkt Bioethik zusammen.
Bemerkenswert sei, dass der Papst der Theologie in seinen "Dubia"-Antowrten attestiert hatte, zu einem "gereiften Urteil der Kirche" beizutragen. "Als Angehörige der Zunft der theologischen Ethik in einer theologischen Fakultät kann man gar nichts Schöneres hören", so Walser.
Quelle: kathpress