
Tödtling-Musenbichler: Arm-Reich-Kluft sollte kleiner werden
Die Caritas will auf der Grundlage ihrer Erfahrungen mit sozialen Notlagen Lösungen vorschlagen, "wie ein armutsfestes Österreich sein und wie die Schere zwischen Arm und Reich kleiner werden kann". Mit diesen Worten hat die designierte Caritas-Österreich-Präsidentin und aktuelle Caritas-Steiermark-Direktorin Nora Tödtling-Musenbichler in den "Oberösterreichischen Nachrichten" (OÖN, 28.12.) ihre Sympathien für Vermögens- und Erbschaftssteuern begründet. Im Bemühen um Gerechtigkeit sei es der Caritas wichtig, klare politische Positionen zu beziehen. "Was wir nicht machen, ist Politik", präzisierte die ab Februar erste Frau an der Spitze der Caritas Österreich.
Die Caritas sei grundsätzlich für alle Menschen da, "auch für jene, die von der Gesellschaft vielleicht nicht allgemein akzeptiert sind". Damit sei die Hilfsorganisation vielleicht nicht allen sympathisch, "aber wir versuchen, empathisch zu sein". Das sagte Tödtling-Musenbichler zum im Advent von OGM und APA vorgelegten Vertrauensindex für NGOs, wonach etwa das Rote Kreuz, die Krebshilfe oder die Rote-Nasen-Clowndoctors deutlich höhere Werte haben als die Caritas oder auch die Diakonie. Die neue Caritas-Chefin sprach dazu von einem "positiven Wert, wenn auch am unteren Ende". Zu berücksichtigen sei auch, dass der Caritas jene Organisation sei, "der im Vorjahr am meisten Spenden anvertraut wurden".
Thema des Interviews waren mit Asylwesen und Armutsbekämpfung zwei Politikfelder, in denen sich die Caritas regelmäßig zu Wort meldet. Auf die Frage, ob sie Verständnis für Gefühle von Überforderung angesichts der hohen Zahl an Flüchtlingen hat, antwortete Tödtling-Musenbichler: "Wir sehen, dass Flucht einfach Realität ist." Die Caritas setze sich für faire Asylverfahren, sichere Fluchtrouten und gelingende Integration ein, wobei letztere auch die Bereitschaft der Menschen erfordere, die nach Österreich kommen. Die Caritas fördere die Integration etwa durch Arbeit oder Deutschkurse. Nicht zielführend sei es, "dass Menschen kommen, um Asyl ansuchen und dann untätig bis zum Asylbescheid ausharren müssen", erklärte Tödtling-Musenbichler.
Zur Frage, was der Staat tun sollte, um Armut in den Griff zu bekommen, sehe die Caritas einige "große Hebel". Die designierte Präsidentin bekräftigte die Forderung nach einer Anhebung der Ausgleichszulage von aktuell 1.110 Euro auf die Höhe der Armutsgefährdungsschwelle von derzeit 1.392 Euro, die vor allem Mindestpensionistinnen zugute käme. Und ein wesentlicher Hebel sei die Reform der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes sowie die Valorisierung der Notstandshilfe.
Sozialhilfe "ist keine Hängematte"
Dass die Sozialhilfe dazu einlädt, vom Staat abhängig zu bleiben, verneinte Tödtling-Musenbichler. Diese sei "das letzte Auffangnetz, das ist keine Hängematte. Das ist nichts, wo man sich zurücklehnen kann und mit dem man ein Leben lang auskommt." Zudem schaffe die Sozialhilfe auch Anreize, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Die Caritas-Direktorin weiß um die Begrenztheit der Mittel: "Ich kann mir damit nichts Schönes kaufen, ich kann damit keinen Urlaub machen."
Durch ihre neue Funktion an der Spitze der Caritas Österreich werde auch nach außen "sichtbarer, dass hier ganz viele Frauen tätig sind" - nicht nur in der Pflege und in den Caritas-Einrichtungen, sondern auch in Leitungspositionen, wie Tödtling-Musenbichler sagte: "Wir haben 70 Prozent Frauen bei uns." Freilich seien es auch oft Frauen, die von Armut betroffen sind und ihre Energierechnung nicht mehr zahlen können. Auch wenn Österreich ein vergleichsweise gut funktionierendes Sozialsystem habe: "Für uns geht es darum, dass der Sozialstaat noch wirksamer vor Armut schützen muss."
Diakonie formuliert Neujahrswünsche
Neujahrswünsche an die Regierung hat am Donnerstag auch die Diakonie Österreich durch ihre Direktorin Maria Katharina Moser vorgelegt: "Kindern mit Behinderungen alle Möglichkeiten in der Schule geben, Rechtsanspruch für Hilfsmittel für Menschen mit Einschränkungen in der Lautsprache und eine neue Mindestsicherung statt der nicht funktionierenden Sozialhilfe."
Die schulische Laufbahn bestimme die Berufsbiografie. Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt sei ein zentrales Anliegen der evangelischen Hilfsorganisation. Um Inklusion von Beginn an zu ermöglichen, forderte Moser ein verpflichtendes Kindergartenjahr auch für Kinder mit Behinderungen, eine verbesserte "inklusive Nachmittagsbetreuung" sowie Bildung über die 9. Schulstufe hinaus.
Mit Blick auf die rund 63.000 Personen in Österreich mit Einschränkungen in der Lautsprache forderte die Diakonie erleichterten Zugang zu assistierenden Technologien der Kommunikation. Hier fehle nach wie vor ein Rechtsanspruch darauf.
Ein weiterer Diakonie-Wunsch ist laut Moser eine Sozialhilfereform, die wirksamer als derzeit Armut bekämpft. Das aktuelle Sozialhilfegesetz "versagt in der Krise", verwies sie auf die Teuerung und deren Folgen. Die Diakonie schlug eine Abkehr vom System der "Höchstsätze" und die Wiedereinführung von Mindest-Standards vor, die den Bundesländern zugleich die Gewährung von höheren Leistungen ermöglicht.
Ausblick auf 150-Jahr-Jubiläum
Diese Neujahrswünsche seien zugleich Anliegen zum Geburtstag der Diakonie, wies Moser hin: 2024 feiere die älteste Sozialorganisation Österreichs ihr 150-jähriges Bestehen. Der Festreigen dazu unter dem Motto "aufeinander zugehen" startet im Februar mit einem Empfang der Diakonie-Direktorin und der Wanderausstellung "Geschichte hat viele Gesichter". Am 14. April folgt der "Diakoniesonntag" in den evangelischen Pfarrgemeinden. Höhepunkt des 150-Jahr-Jubiläums soll am 2. Oktober ein Festkonzert im Wiener Konzerthaus und am 3. Oktober ein Festsymposion im Wiener Rathaus sein.
Quelle: kathpress