Caritas-Sozialberaterin Anzengruber: "Armut ist weiblich"
Die Leiterin der Caritas-Sozialberatung in Wien, Doris Anzengruber, macht auf die große Zahl armutsbetroffener Frauen in Österreich aufmerksam. "Armut ist weiblich, das zeigen auch die offiziellen Zahlen. Es sind besonders viele Alleinerzieherinnen und Mindestpensionistinnen betroffen, das sehen wir täglich in der Sozialberatung", erklärte Anzengruber im Doppelinterview mit "First Lady" Doris Schmidauer für die Tageszeitung "Kurier" (Freitag) anlässlich des Weltfrauentags. Die Präsidenten-Gattin hatte Ende Februar Vertreterinnen von Sozialorganisationen in die Präsidentschaftskanzlei in Wien eingeladen, um auf das Thema Frauenarmut aufmerksam zu machen.
In Österreich sind laut offiziellen Statistiken aus den EU-SILC-Erhebungen 533.000 Frauen armutsgefährdet. Ein-Eltern-Haushalte verzeichnen mit einer Quote von 32 Prozent die höchste Armutsgefährdung aller Haushaltstypen - in Österreich sind das zu 90 Prozent Frauen.
"Wir sehen täglich in unserer Beratungsstelle, dass die Care-Arbeit, die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen bei Weitem nicht gerecht verteilt ist, sondern dass viele Frauen zu uns kommen, die das alleine schultern müssen", sagte Anzengruber. Mit den multiplen Krisen habe sich das noch verstärkt. "Zwei von drei Klienten, die zu uns in die Sozialberatung kommen, sind weiblich", berichtete die leitende Caritas-Mitarbeiterin. Das Auskommen mit dem werde zudem aufgrund der anhaltenden Teuerungen immer mehr zur Herausforderung. "Gestiegene Mieten, hohe Energierechnungen, teure Lebensmittel - das können viele nicht mehr ohne Unterstützung stemmen."
Um die Situation für Frauen strukturell zu verbessern, bräuchte es eine verbesserte finanzielle Situation und einen armutsfesten Sozialstaat, so Anzengruber. "Ein höheres Einkommen fördert Unabhängigkeit und das Vertrauen der Frauen in sich selbst kann wachsen." Der Gedanke "Ja, ich schaffe es alleine" könne eine wichtige Schraube sein. "Wenn mir Pensionistinnen sagen, es sei ihre Schuld, weil sie einfach zu wenige Jahre gearbeitet und sich um die Kinder gekümmert haben, trifft mich das besonders. Das ist ein strukturelles Problem", so Anzengruber.
Dem pflichtete auch Schmidauer bei. "Das Wichtigste ist, nicht so zu tun, als wären das lauter Einzelfälle. Es ist ein strukturelles Problem, und da muss man langfristig präventiv Maßnahmen setzen", so die "First Lady". Niederschwellige Angebote wie die Beratungsstellen der Caritas seien in dieser Hinsicht "enorm wichtig", zeigte sie sich überzeugt. "Ich habe hier viele Role Models kennengelernt, die selber diese Hilfe in Anspruch genommen haben. Sie können anders kommunizieren und so andere betroffene Frauen ermutigen." Sie hätten sich Hilfe zu holen, so Schmidauer, "das ist so ein mutiger erster Schritt, finde ich".
"Was die gesetzlichen Rahmenbedingungen betrifft, ist die Politik gefordert", betonte Schmidauer. Es gebe Maßnahmen, die erwiesenermaßen wirksam seien, sie nannte in dieser Hinsicht etwa die Quotenregelung. Was die Armutsbekämpfung betrifft, gelte es bei der schlechten Entlohnung vieler klassischer sogenannter Frauenberufe ansetzen. "Hier gäbe es Hebel", zeigte sie sich überzeugt. "Bei der Karenz-Regelung müssen Männer mehr in die Pflicht genommen werden. Dann würde sich vieles einfach regeln."
Frauen "verdeckt wohnungslos"
Dass man auf den Straßen eher männliche Obdachlose wahrnehme, liege daran, dass Frauen "vielfach verdeckt wohnungslos" seien, erläuterte Anzengruber im Kurier-Interview. "Das bedeutet, sie leben in provisorischen Wohnverhältnissen bei Bekannten, pendeln von Couch zu Couch oder begeben sich in Zweckpartnerschaften und damit vielfach in Abhängigkeitsverhältnisse." Außerdem gebe es viele Frauen, "die prekär leben und keine andere Wahl sehen, als in gewaltvollen Beziehungen zu bleiben".
Schmidauer kam in diesem Zusammenhang auf die vielen Femizide zu sprechen, die sich in den letzten Wochen in Österreich ereignet hatten. Der Aufschrei sei hier die eine Seite, das andere seien gesetzte Maßnahmen, um diese Gewalt zu verhindern. "Hier sind vor allem auch die Männer gefragt, damit das Thema kein klassisches Frauenthema bleibt", zeigte sie sich überzeugt. "Wo sind die Männer, die hier als positive Role Models wirken? Die Männer, die sagen 'So sind wir nicht?'." Die Frage, welche Rollen vorgelebt werden, müsse in den Kindergärten und den Schulen anfangen, zeigte sie sich überzeugt. "Hier wäre der wirksamste Ansatz - neben allem, was es an Hilfe selbstverständlich geben muss."
Quelle: kathpress