Ein Papst-Kreuzweg ohne Papst
Der weiße Sessel auf der Anhöhe gegenüber dem nächtlich beleuchteten Kolosseum in Rom war schon aufgebaut, als im Vatikan die Entscheidung fiel: Papst Franziskus würde nicht zum Kolosseum fahren, um dort bei feuchtkühlen Frühjahrstemperaturen den Vorsitz beim traditionellen abendlichen Kreuzweg am Karfreitag einzunehmen.
Stattdessen musste de 87-Jährige, wie schon im Vorjahr, mit Rücksicht auf seine angeschlagene Gesundheit in seiner Wohnung im Vatikan bleiben und die eindrucksvolle Prozession von dort verfolgen. Vor die Wahl gestellt, ob er die Teilnahme an den Oster-Messen aufs Spiel setzen oder vorsichtshalber auf den Kreuzweg verzichten wollte, entschied er sich für letzteres.
Die Entscheidung war umso schmerzhafter, weil er zum ersten Mal in elf Jahren als Papst den Kreuzweg-Text selbst verfasst hatte. Zuletzt hatte Johannes Paul II. im Heiligen Jahr 2000 den Kreuzweg-Text selbst geschrieben. Tausende Teilnehmer, die bei der Prozession an das Leiden und Sterben Jesu in Jerusalem erinnern, wurden von seiner Abwesenheit ebenso überrascht wie die anwesenden Kirchen- und Medienvertreter.
In seinen Texten schlug Franziskus einen Bogen vom Geschehen vor 2.000 Jahren ins Heute und sprach seine Zuhörer unmittelbar im Gebet an. Zu den Kriegen der Gegenwart schrieb er: "Bleibt mein Herz angesichts der Tragödien in der Welt steinhart oder lässt es sich erweichen? Wie reagiere ich auf den Wahnsinn des Krieges, auf Kindergesichter, die nicht mehr lächeln können, auf Mütter, die sie unterernährt und hungrig sehen und keine Tränen mehr haben, die sie vergießen könnten? (...) Gib mir die Gnade, beim Beten zu weinen und beim Weinen zu beten."
Ferner erinnerte der Papst daran, dass Schmähungen, wie sie Jesus damals erlitt, heute auch über soziale Netzwerke verbreitet werden. In dem Text hieß es dazu: "Sie verurteilen dich und begegnen dir mit Schmähung und Verachtung. Das geschieht auch heute, Herr, und dazu (...) genügt eine Tastatur, um zu beleidigen und Urteile kundzutun."
Besonders unterstrich der Papst den Wert der Frauen und erklärte: "Es sind die Frauen, denen du Hoffnung geschenkt hast. Sie haben keine Stimme, aber sie verschaffen sich Gehör. Hilf uns, die Größe der Frauen zu erkennen, derjenigen, die dir an Ostern treu und nahe waren, die aber auch heute noch ausgegrenzt werden und Schmähungen und Gewalt erleiden."
An anderer Stelle rief Franziskus zu Solidarität mit Erniedrigten und Ausgebeuteten auf: "Lass mich dich in den Leidenden erkennen und die Leidenden in dir, denn du bist gegenwärtig in denen, die ihrer Würde beraubt sind, in denen, die dir gleich, aus Überheblichkeit und Ungerechtigkeit gedemütigt werden, durch unfaire Gewinne, die in allgemeiner Gleichgültigkeit auf."
Mit Nachdruck wandte sich der Text des Papstes gegen eine bloß innerliche Frömmigkeit ohne Hilfe für die Armen. So heißt es dort: "Du willst kein steriles Gebet, (...) denn Reden ist einfach, aber liebe ich dich dann auch wirklich in den Armen, die dein verwundetes Fleisch sind? Bete ich für diejenigen, die ihrer Würde beraubt sind? Oder bete ich nur, um meine Bedürfnisse zu decken und mich in Sicherheit zu hüllen?"
Ferner schrieb Franziskus: "Jesus, lass mich dich erkennen und lieben in den ungeborenen und verlassenen Kindern, (...) in den vielen jungen Menschen, die darauf warten, dass jemand ihren Schmerzensschrei hört, (...) in den vielen verlassenen alten Menschen, (...) in den Gefangenen und Einsamen, (...) in den ausgebeuteten und vergessenen Völkern (...)." Und weiter: "Von dem Glauben, ich bräuchte anderen nicht zu helfen befreie mich! Von einem Kult der Anständigkeit und der Äußerlichkeit befreie mich! Vom Glauben, dass alles in Ordnung ist, wenn es mir gut geht, befreie mich!"
Schließlich rief der Papst zum Gebet auf für die verfolgten Christen und für die Einheit der Kirche: "Halte die Gläubigen in der Gemeinschaft zusammen, hilf uns, geschwisterlich und geduldig zu sein, zusammenzuarbeiten und miteinander unterwegs zu sein; bewahre die Kirche und die Welt im Frieden."
Mit dem intensiven Text war der Papst wenigstens in seinen Gedanken beim Kreuzweg gegenwärtig. Doch beim Schlusssegen fehlte er für alle unübersehbar. Den erteilte wie im Vorjahr sein Stellvertreter für die Diözese Rom, Kardinal Angelo De Donatis.
Quelle: kathpress