Bierlein-Requiem: Schönborn ruft zu "Pakt der Mitmenschlichkeit" auf
Zu einem "Pakt der Mitmenschlichkeit" für Österreich hat Kardinal Christoph Schönborn aufgerufen. Der Wiener Erzbischof leitete am Freitag im Wiener Stephansdom das Requiem für Brigitte Bierlein, Österreichs erste Bundeskanzlerin, die am 3. Juni kurz vor ihrem 75. Geburtstag verstorbenen ist.
In seiner Predigt würdigte Schönborn einmal mehr die Verdienste Bierleins um Österreich. Über Brigitte Bierlein zu sprechen heiße, "über Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen". Sie habe in herausragender Weise diese Worte verkörpert und vergegenwärtigt, so der Kardinal. Ihr Dienst für und an Österreich möge Vorbildcharakter für das politische Miteinander haben, so Schönborn, auch in Anspielung auf den anstehenden Wahlkampf.
Predigt von Kardinal Schönborn im Wortlaut |
Brigitte Bierlein ist auf den Tag genau fünf Jahre nach ihrer Angelobung durch unseren Herrn Bundespräsidenten als erste Bundeskanzlerin der Republik Österreich gestorben. Am 3. Juni. Am Tag darauf habe ich in der Feier der Heiligen Messe ihrer gedacht und für sie gebetet. Die Worte der Bibel, die an diesem. 4. Juni gelesen wurden, haben mich sofort an unsere Verstorbene denken lassen. In meiner Predigt habe ich darauf hingewiesen, dass Jesus mit seinem berühmten Wort "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! (Matthäus 22,21) eine weltgeschichtlich entscheidende Unterscheidung eingeführt hat, deren Tragweite ich ein wenig auszuleuchten versucht habe. Heute will ich es Brigitte Bierlein zu Ehren noch einmal versuchen. Über Brigitte Bierlein zu sprechen heißt über Recht und Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit sprechen. Sie hat in herausragender Weise diese Worte verkörpert und vergegenwärtigt. Mich hat dabei die Verheißung aus dem zweiten Petrusbrief besonders angesprochen: "Wir erwarten gemäß der Verheißung Gottes einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt." (2 Petr 3,13) In der Welt, in der wir leben, wohnt reichlich wenig Gerechtigkeit. Himmelschreiendes Unrecht, Gewalt, Korruption, Machtmissbrauch beherrschen weitgehend die Szene des Theaters dieser Welt. Ist die Verheißung der Gerechtigkeit eine Vertröstung auf die kommende Welt? Sind die Träume von einer gerechten oder wenigstens einer etwas gerechteren Welt Illusion? Brigitte Bierlein hat sich zwischen Kunst, der sie immer verbunden blieb, und Jus letztlich für Letzteres entschieden. Daraus wurde ein lebenslanger Einsatz für Recht und Gerechtigkeit. Ein Kampf gegen Windmühlen? Oder die Voraussetzung für ein lebbares Gemeinwesen? Der zweite Petrusbrief führt noch ein Schlüsselwort ein: "Betrachtet die Geduld unseres Herrn als eine Rettung." (2 Petr 3,15) Geduld braucht jeder, der sich für Recht und Gerechtigkeit einsetzt. Nicht erst Immanuel Kant, sondern lange vor ihm schon hat die Bibel um den "Hang zum Bösen" gewusst. Das Judentum weiß vom "jezer ha-ra", dem bösen Trieb, wie auch vom "jezer ha-tow", dem guten Trieb im Menschen. Das Christentum spricht von Erbsünde. Der Ruf nach Gerechtigkeit ist das starke Zeugnis dafür, dass in jedem Menschen der Sinn für und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit vorhanden ist und wohl nie ganz verloren gehen kann. Diesem Sinn für Gerechtigkeit diente Brigitte Bierlein in den verschiedenen Positionen ihrer beeindruckenden Laufbahn, als Staatsanwältin, im Verfassungsgerichtshof und schließlich im Dienst der Gesetzgebung in ihrer Regierungsverantwortung. Sie hat alle diese Tätigkeiten als Dienst verstanden. Nur so kann man dem Recht gerecht werden. Die Worte aus dem zweiten Petrusbrief weisen aber noch auf eine entscheidende Tatsache hin: die Vorläufigkeit alles Irdischen. Der Tod erinnert uns daran, auch unsere heutige Feier in der Gegenwart der sterblichen Überreste einer großen und tapferen Frau. Vorläufig sind alle Bemühungen um Gerechtigkeit, die es nie in perfekter Form geben wird. Die Politik ist immer ein Feld des Vorläufigen. Doch ebenso alle anderen Lebensbereiche. Das Wissen um diese Vorläufigkeit alles Irdischen ist eine Voraussetzung für gegenseitigen Respekt, Toleranz und die Fähigkeit, verschiedene Sichtweisen nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung zu sehen. Heute ist in gewisser Weise Österreich um den Sarg seiner ersten Bundeskanzlerin versammelt. Wäre es nicht der richtige Moment, dass wir alle von hier, von diesem Dom, der doch in gewisser Weise das Herz unseres Landes ist, mit dem festen Entschluss weggehen, die kommenden Monate bis hin zur Wahl und natürlich darüber hinaus, im Gedenken an unsere eigene Vorläufigkeit und Vergänglichkeit einander mit Respekt und Achtung begegnen, auf Hasspostings, auf Verächtlichmachung der Anderen zu verzichten, kurz: einen Pakt der Mitmenschlichkeit zu schließen. Frau Bierlein hat vorgelebt, dass klare Positionen, eine aufrechte Haltung, eine deutliche Sprache mit Wertschätzung anderer Sichtweisen vereinbar ist. Doch nun noch ein Wort zum berühmten Satz Jesu, den ich anfangs in Erinnerung gerufen habe. Es geht um das Zahlen von Steuern. Soll man sie zahlen oder darf man es nicht? Eine Grundfrage jedes Gemeinwesens. Ohne Steuern kein Staat. Ohne Staat keine Ordnung, kein Recht, keine Justiz, keine Sicherheit. Ohne Staat herrscht Willkür, immer auf Kosten der Schwachen und der Wehrlosen. Was sagt Jesus? Sein Wort führt eine Unterscheidung ein, die, davon bin ich überzeugt, grundlegend ist für die Demokratie. Jesu Wort ist, so sehe ich es, eine klare Absage an jede Theokratie. Der Kaiser ist nicht Gott, und der Staat hat nicht Gott zu ersetzen. Ein Gottesstaat ist mit dieser Sicht nicht vereinbar. Das Christentum hat von Jesus angefangen, Gehorsam und Respekt vor den weltlichen Autoritäten gelehrt. Man lese nach bei Paulus. Es hat immer aber auch gelehrt, dass, wie Petrus es sagt, man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Franz Jägerstätter und viele andere haben gezeigt, dass das Gewissen über dem Staat steht, auch wenn man dem Staat zu gehorchen hat. Doch keine staatliche Macht kann den Anspruch absoluten Gehorsams erheben. In dieser Spannung steht die Demokratie. "Alles Recht geht vom Volk aus", heißt es in unserer Verfassung, von der unser Herr Bundespräsident in dramatischer Stunde zu Recht gesagt hat, sie sei schön. Dieser Verfassung hat Brigitte Bierlein durch Jahre gedient. Dafür gilt ihr und allen, die die Verfassung schützen, Dank und Anerkennung. Das Wort Jesu weist aber auch auf eine andere, wesentliche Dimension der Demokratie hin, ohne die die Verfassung aus dem Ruder geraten kann. "Gebt Gott, was Gott gehört!" In profanen Worten können wir das so formulieren: "Der demokratische Rechtsstaat lebt von Voraussetzungen, die er sich nicht selber geben kann." (Böckenförde) Der Staat genügt sich nicht selber. Er bedarf des Unbedingten, das nicht demokratisch entschieden wird, sondern vorausgesetzt werden muss. Das ist grundlegend die unbedingte Würde jedes Menschen. Er muss sie nicht erst erwerben, sie ist ihm immer schon eigen. Auch der unausweichliche Tod kann diese Hürde nicht nehmen. Jenseits der Schwelle des Todes endet alle irdische Macht und ihre Zuständigkeit. Heute vertrauen wir darauf, dass Brigitte Bierlein, die ihr Leben lang der irdischen Gerechtigkeit gedient hat, jenseits aller Schatten und Leiden des irdischen Weges, heimgelangt ist in jenen "neuen Himmel" und jene "neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt" (vgl. 2 Petr 3,13). Danke, verehrte Brigitte Bierlein, für diesen Ihren treuen Dienst! Ruhe in Frieden! |
Der Kardinal sagte in seiner Predigt wörtlich: "Heute ist in gewisser Weise Österreich um den Sarg seiner ersten Bundeskanzlerin versammelt. Wäre es nicht der richtige Moment, dass wir alle von hier, von diesem Dom, der doch in gewisser Weise das Herz unseres Landes ist, mit dem festen Entschluss weggehen, in den kommenden Monaten bis zur Wahl und natürlich darüber hinaus, im Gedenken an unserer eigenen Vorläufigkeit und Vergänglichkeit einander mit Respekt und Achtung zu begegnen, auf Hasspostings, auf das verächtlich Machen der anderen zu verzichten, kurz, einen Pakt der Mitmenschlichkeit zu schließen?"
Brigitte Bierlein habe vorgelebt, "dass klare Positionen, eine aufrechte Haltung, eine deutliche Sprache mit Wertschätzung anderer Sichtweisen vereinbar ist".
Neben Kardinal Schönborn konzelebrierten u.a. der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Franz Lackner, und der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler sowie die Mitglieder des Wiener Domkapitels, darunter Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka, Domkustos Michael Landau und Dompfarrer Toni Faber. Auch der Apostolische Nuntius in Österreich, Erzbischof Pedro Lopez Quintana, nahm am Requiem teil. Die Ökumene war an erster Stelle vom armenisch-apostolischen Bischof und Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Tiran Petrosyan, vertreten. Weiters waren etwa auch der evangelische Bischof Michael Chalupka, der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs und der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar Nicolae Dura gekommen.
Das offizielle Österreich wurde an erster Stelle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Gattin Doris Schmidauer, Bundeskanzler Karl Nehammer und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka vertreten. Gekommen waren weiters Vizekanzler Werner Kogler und zahlreiche Ministerinnen und Minister, unter ihnen Susanne Raab, Alma Zadic, Karoline Edtstadler, Leonore Gewessler, Norbert Totschnig, Johannes Rauch, Alexander Schallenberg und auch Staatssekretärin Andrea Mayer sowie Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Auch Altbundespräsident Heinz Fischer mit Gattin, die früheren Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Christian Kern, wie auch die frühere steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic erwiesen Brigitte Bierlein die letzte Ehre. Die Justiz wurde an erster Stelle von Verfassungsgerichtshofpräsident Christoph Grabenwarter vertreten.
"Politik ist immer ein Feld des Vorläufigen"
Statt Gerechtigkeit herrsche in der Welt immer wieder Unrecht, Gewalt, Korruption und Machtmissbrauch, so Kardinal Schönborn weiter in seiner Predigt. Doch die Sehnsucht nach Gerechtigkeit sei das starke Zeugnis dafür, "dass in jedem Menschen der Sinn für und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit vorhanden ist und wohl nie ganz verloren gehen kann", so der Kardinal.
Diesem Sinn für Gerechtigkeit habe Bierlein in den verschiedenen Positionen ihrer beeindruckenden Laufbahn gedient, als Staatsanwältin, im Verfassungsgerichtshof und schließlich in Regierungsverantwortung. Schönborn: "Sie hat alle diese Tätigkeiten als Dienst verstanden. Nur so kann man dem Recht gerecht werden."
Freilich: Alle irdischen Bemühungen um Gerechtigkeit seien immer nur vorläufig und nie perfekt. "Die Politik ist immer ein Feld des Vorläufigen. Das Wissen um die Vorläufigkeit alles Irdischen ist eine Voraussetzung für gegenseitigen Respekt, Toleranz und die Fähigkeit, verschiedene Sichtweisen nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung zu sehen."
Das Christentum habe von Anfang an Gehorsam und Respekt vor den weltlichen Autoritäten gelehrt, führte Schönborn in seiner Predigt weiter aus. Das Christentum habe zugleich aber immer auch gelehrt, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Franz Jägerstätter und viele andere hätten gezeigt, "dass das Gewissen über dem Staat steht". Keine staatliche Macht könne den Anspruch des absoluten Gehorsams stellen. In dieser Spannung stehe die Demokratie. Der demokratische Rechtsstaat lebe von Voraussetzungen, die er sich selbst nicht geben könne, so Schönborn: "Der Staat genügt sich nicht selbst. Er bedarf des Unbedingten, das nicht demokratisch entschieden wird, sondern vorausgesetzt werden muss." Und dies sei die unbedingte Würde jedes Menschen.
Der Trauergottesdienst wurde musikalisch von der Wiener Dommusik mit dem Requiem in d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart gestaltet. Am Ende der Trauerfeier waren Ansprachen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Karl Nehammer und Verfassungsgerichtshofpräsident Christoph Grabenwarter geplant.
Ehrengrab am Zentralfriedhof
Das "staatliche Begräbnis mit militärischen Elementen" hat bereits um 6.45 Uhr begonnen, als die sterbliche Hülle begleitet von Dompfarrer Toni Faber in die Kathedrale gebracht und aufgebahrt wurde. Das Sargspalier ist laut Bundeskanzleramt paritätisch besetzt durch Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher und staatlicher Organisationen, die das Leben von Bierlein geprägt haben: das Gymnasium in der Kundmanngasse, das Juridicum der Universität Wien, der Verfassungsgerichtshof, das Bundeskanzleramt, die Bundestheater Holding und die Frauen Initiative LEA - Let's Empower Austria sowie das Bundesheer und die Polizei.
Beigesetzt wird Brigitte Bierlein am Freitagnachmittag in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Der Trauerkondukt beginnt um 14.45 Uhr. Die Beisetzungsfeier leitet der Pfarrer von Wien-Ober St. Veit, Stefan Reuffurth, der Bierlein bis zuletzt geistlich begleitet hatte.
Quelle: kathpress