
Zulehner würdigt Bruckners "enorm geweitete" Spiritualität
Anton Bruckners tiefe Gläubigkeit werde "von vermeintlich aufgeklärten Theologen" zu Unrecht "als bäuerlich und gar primitiv" abgetan. Der Wiener Theologe und vielfache Buchautor Paul Zulehner würdigte die ererbte Frömmigkeit des vor 200 Jahren geborenen Komponisten demgegenüber als "im besten Sinn dieses Wortes 'katholisch" - nicht im Sinn von konfessionell, sondern von universell. Zulehner äußerte sich am Wochenende nach einem Gespräch mit Markus Poschner, dem Chefdirigenten des Bruckner Orchesters in Linz, über Musik und Spiritualität. Den Anlass für seinen Blogeintrag darüber bot die Aufführung der 8. Sinfonie Bruckners im Rahmen der OÖ Stiftskonzerte im Stift St. Florian, der ehemaligen Wirkungsstätte des Musikers.
Anton Bruckner (1824-1896) habe sich mit der Übersiedlung 1868 vom klösterlichen St. Florian in die profane Kaiserstadt Wien biografisch vom Kirchenmusiker zum Weltsinfoniker entwickelt, sagte Zulehner. Doch seinen "locus", seinen vertrauten Gottesort, habe er damit keineswegs verlassen, so der Theologe in Anspielung auf den Choral "Locus iste" - eine der bekanntesten Kompositionen Bruckner, geschaffen für die Eröffnung des Linzer Doms. Wohl aber habe Bruckner den begrenzten Gottesort "Kirche" verlassen und "die Natur, das Wirtshaus, den Konzertsaal" als neue "Loci" der Präsenz Gottes erkannt.
Die Spiritualität Bruckners hat sich nach den Worten Zulehners damit im Lauf seiner Entwicklung enorm geweitet. Ihm sei es offenbar gelungen, das exklusive "extra ecclesiam nulla salus" (dt.: außerhalb der Kirche kein Heil bzw. Gott) auszuweiten in das inklusive "extra amorem nulla salus" - zu verstehen als "Wo die Liebe ist, da ist Gott". Dies sei zugleich eine Antwort auf die heute grassierende Säkularisierung: Die profane Welt sei offen für die Erfahrbarkeit Gottes, sie bleibe Gottesort.
Schöpfung als "Gottes Weltsinfonie"
Zulehner nahm Bezug auf die Äußerung von Dirigent Poschner, wonach Musik "letztlich ein Geheimnis" bleibe. Auch die Theologie sehe Gott als ein unbegreifliches Geheimnis. Theologie und Spiritualität können sich Gott bestenfalls annähern, "wie wir uns ja auch den Meisterwerken der Musik, die uns ergreifen, letztlich nur annähern". Die Welt könne laut vielen Mystikern als "göttliche Weltsinfonie" gedeutet werden, für Zulehner eine "Unvollendete", auch wenn das Schöpfungswerk mit der Auferstehung Jesu Christi bereits ins endzeitliche Finale eingetreten sei.
In den Werken herausragender Künstler komme etwas vom Klang der göttlichen Sinfonie in "verdichteter" Weise zum Vorschein. Beim Komponieren durch außergewöhnlich Begabte werde etwas davon hörbar und "wir als Hörende werden durch diese Musik in einer Gegenbewegung in die Weltsinfonie hineingespielt", wie Zulehner darlegte. "Dabei verlieren wir das Gefühl für Raum und Zeit. Wir erleben im Spiel, was wir sind: aus und für die Liebe komponiert."
Der Wiener Theologe formulierte anlässlich der Aufführung der 8. wie schon der 7. Bruckner-Sinfonie in St. Florian "spirituelle Miniaturen", die in seinem Blog (https://zulehner.wordpress.com) nachzulesen sind.
Quelle: kathpress