Bioethik-Institut: Sterbehilfe-Lockerungen widerlaufen Suizidprävention
Vor der Aufweichung bestehender Regelungen zur Suizidassistenz hat das Wiener Bioethik-Institut IMABE gewarnt. Der in der kommenden Woche mit der Thematik befasste Verfassungsgerichtshof (VfGH) sollte bei seinen Beratungen klar vor Augen haben, dass durch eine Erleichterung des Zugangs zu Selbsttötungsmitteln die Zahl von Suiziden ansteigen werde, erklärte die Direktorin der kirchlichen Einrichtung, Susanne Kummer, in einer Aussendung zum am Dienstag begangenen "Welttag der Suizidprävention". Weitere Lockerungen könnten "keinesfalls im Sinne der Betroffenen noch der Gesellschaft" liegen.
Der VfGH berät am 19. September in einer öffentlichen Sitzung über mehrere Anträge, die die Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen, die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der neu gefassten Bestimmung zur Mitwirkung an der Selbsttötung und die Aufhebung einer Reihe von Bestimmungen des "Sterbeverfügungsgesetz" (StVfG) fordern. Die Antragsteller streben eine Legalisierung der "aktiven Sterbehilfe" in Österreich an wie auch die Aufhebung der Gewissensfreiheit der Ärzte, derzufolge niemand zur Mitwirkung an Suizid verpflichtet werden kann.
Die Legalisierung und Erleichterung von Selbsttötungen "höhlt de facto die Suizidprävention aus und verändert schleichend die Gesellschaft", warnte Kummer. Sobald Töten als "Therapieoption" im Raum stehe, "macht das etwas mit uns - auch mit dem Gesundheitspersonal". Bereits jetzt gäbe es infolge der 2022 rechtlich geschaffenen Möglichkeit der Mitwirkung an Suiziden durch Dritte bei Ärzten, Pflegekräften und in Gesundheitseinrichtungen "große Verunsicherung und ethische Konflikte" rund um den praktischen Umgang mit Sterbe- und Suizidwünschen, sowohl beim Personal als auch bei den Arbeitgebern.
Schutz des Gewissens weiter aufrecht
Rechtsunsicherheit gebe es besonders hinsichtlich des im Sterbeverfügungsgesetz normierten Freiwilligkeitsgebot, das sich auch auf juristische Personen (Institutionen) erstreckt. Die infolge des VfGH-Entscheids vom Dezember 2020 beschlossene Regelung legt fest, dass die Inanspruchnahme der Hilfe eines Dritten bei der Durchführung eines Suizidwunsches auf dessen Bereitschaft angewiesen ist und nicht als Anspruch gegenüber diesem - auch gegenüber Institutionen - geltend gemacht werden kann. "Personen und Einrichtungen, die assistierten Suizid ablehnen, handeln daher im Einklang mit dem Gesetz", hält die IMABE-Aussendung fest.
Weiterhin aufrecht sei das Recht für Ärzte und Pflegepersonal, nach ihrem Gewissen zu handeln, für Gesundheitseinrichtungen, die eigenen Prinzipien nicht über Bord zu werfen und für Patienten und Bewohner in Pflegeheimen und Spitälern, nicht etwa durch ungebetene Information gedrängt zu werden oder mit der Organisation und Durchführung eines assistierten Suizids in Berührung zu kommen. Das Recht auf Schutz des Lebens und die Anliegen der Suizidprävention seien weiterhin gültig, zudem dürfe assistierter Suizid "nicht einfach als gleichrangige Option unter anderen" behandelt werden.
Eine von Gerichten und Rechtsanwendern zu konkretisierende "Grauzone" sei jedoch unter anderem die Frage, "ob ein stiller, selbstorganisierter assistierter Suizid in einer Gesundheitseinrichtung, die dies ablehnt, geduldet werden muss".
Der IMABE-Aussendung zufolge gehen die Meinungen der Rechtsexperten dazu auseinander: "Einige vertreten die Meinung, dass eine Duldungspflicht besteht. Andere sehen keine grundsätzliche Duldungspflicht v.a. privater, konfessioneller Einrichtungen." Unter den letzteren seien auch der ehemalige Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, Matthias Neumayer sowie die Medizinrechtler Reinhard Resch und Gerhard Huber.
"Hilferuf hören" statt vorauseilender Gehorsam
Die Schlussfolgerung des kirchlichen Ethikinstituts: Die Frage nach dem konkreten Umgang mit Sterbewünschen und dem Begehren nach assistiertem Suizid liege in erster Linie an Ärzten, Pflegekräften und Gesundheitseinrichtungen. "Sollten Gerichte in Zukunft über die konkrete Auslegung des Freiwilligkeitsgebots entscheiden müssen, werden sie auch auf die gelebte Praxis schauen und daraus Argumente für und wider eine bestimmte Auslegung schöpfen." Rein rechtlich müsse jedoch niemand "in vorauseilendem Gehorsam" oder aus Angst vor einem potenziellen Gerichtsverfahren einem Wunsch nach assistiertem Suizid Folge leisten muss.
Vor Augen führen sollte man sich vielmehr, dass der Wunsch nach assistiertem Suizid oft ein "Hilferuf" sei und eine "Einladung, mit der betroffenen Person ins Gespräch zu kommen und gemeinsam nach Antworten zu suchen, warum sie 'so' nicht mehr weiterleben möchte und Lösungen und Abhilfen anzubieten".
Suizidassistenz-Suchende seien "Menschen in der Krise", werde auch vom deutschsprachigen Forum "Suizidprävention und Assistierter Suizid" unterstrichen. Betroffene hätten das "Recht, als Mensch in seinem körperlichen, psychischen und existenziellen Leiden wahrgenommen zu werden." Ihr Verlangen erfordere die Gewährung "unabhängiger fachlicher Beratung und je nach Situation auch Therapie", heißt es in einer im Juni verabschiedeten Erklärung.
Dreimal mehr Suizide als Verkehrstote
Das IMABE-Institut lieferte in der aktuellen Aussendung auch eine Übersicht über den Stand der Suizide und Suizidassistenz in Österreich im Jahr 2023. Die Gesamtzahl der Selbsttötungen sei mit zuletzt 1.212 dreimal so hoch wie die der Straßenverkehrstoten und liege mit 14 pro 100.000 Einwohnern über dem europäischen Durchschnitt. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen seien Suizide die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen.
Dass die Gesamt-Suizidzahl nach deutlichem Rückgang seit den 1980er-Jahren seit 2022 wieder gestiegen ist, führt das IMABE-Institut unter anderem zurück auf die Zunahme der Fälle von Suiziden unter Mitwirkung Dritter ("Beihilfe zum Suizid"), die in Österreich seit 2022 unter bestimmten Bedingungen straffrei ist. 2023 wurden offiziell 98 assistierte Suizide gezählt, 54-mal bei Frauen und 44-mal bei Männern (Suizid und Suizidprävention in Österreich 2024), wobei als Todesursache jeweils eine Selbstvergiftungsdiagnose angegeben wurde. Experten vermuteten allerdings, dass wegen mangelhafter Dokumentation die Dunkelziffer weit höher liege, so das IMABE-Institut.
Die Legalisierung der Suizidassistenz führe nicht zu einem Rückgang der "harten" Suizide, sondern vielmehr gelte das Gegenteil, sei aus internationalen Studien bekannt: "Die Zahl der Selbsttötungen steigt insgesamt an", so IMABE-Direktorin Kummer. De facto werde eine neue Methode zur Verfügung gestellt "und damit werden auch neue Personengruppen erschlossen". Auffallend sei beispielsweise, "dass sogenannte 'harte' Suizidtote zu 80 Prozent Männer sind, Opfer von assistiertem Suizid jedoch vorwiegend Frauen". Der Staat dürfe nicht von seiner Aufgabe abrücken, "alle Mittel einzusetzen, um Suizide präventiv zu verhindern, statt sie zu fördern". (Infos: www.imabe.org)
(S E R V I C E - Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und gebührenfrei unter der Notrufnummer 142 erreichbar sowie unter www.telefonseelsorge.at. Spezielle Hilfe für Jugendliche bietet "Rat auf Draht", Notrufnummer 147. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Gesundheitsministerium unter www.suizid-praevention.gv.at)
Quelle: kathpress