
Filmemacher beschäftigt sich mit Osttiroler NS-Opfer Bruder Gereon
Dem Schicksal von Bruder Gereon (Josef) Außerlechner, einem lange vergessenen NS-Opfer aus Osttirol, widmet sich ein neuer Film des Tiroler Regisseurs Hermann Weiskopf. Der halbstündige Lehrfilm "#GEREON", der bis Jahresende fertiggestellt werden soll und sich besonders an junge Menschen wendet, beleuchtet das Leben und den Widerstand des Wiltener Prämonstratensers, der 1944 im KZ Dachau ums Leben kam. Gedreht wird unter anderem in Innsbruck, Kartitsch und Dachau. "Gereons Geschichte ist die eines kleinen Helden, der in Zeiten bedrohter Menschlichkeit klare Haltung und Mut gezeigt hat", erklärte der Filmemacher am Dienstag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress.
Weiskopf hatte 2019 mit seinem Film über den Tiroler Märtyrer Otto Neururer ("Hoffnungsvolle Finsternis", mit u.a. Ottfried Fischer und Karl Merkatz) für Aufsehen gesorgt. Noch immer erlebe dieses Werk enorme Resonanz im gesamten deutschen Sprachraum. "Filme, die auf den ersten Blick schwierig erscheinen, können durchaus ein breites Publikum erreichen", so der Regisseur, der sich nun gezielt an die Jugend wenden will. Erneut in Zusammenarbeit mit den Drehbuchautoren Peter Mair und Kirsten Ossoinig sowie mit dem Prämonstratenser Martin Riederer von Stift Wilten wurde ein Skript verfasst, das Bruder Gereons Geschichte auf moderne Weise erzählt. Gedreht wird im Sommer, die Fertigstellung ist für Jahresende geplant, vielleicht bereits zur Eröffnung einer Gedenkstätte für Tiroler NS-Opfer im Stift Wilten.
Der Film im Stil eines Doku-Dramas ist in kurzen Sequenzen geplant, mit einer fiktiven Rahmenhandlung aus der Gegenwart: Eine junge TikTokerin recherchiert dabei als Hauptfigur über Gereon und die Gräueltaten der Nazis. "Junge Leute sind für historische Themen durchaus zugänglich, wenn man nur einen Schlüssel zu ihnen findet und ihnen die Tür öffnet", so Weiskopfs Erfahrung. Die Verfilmung ziele darauf ab, "Geschichte und die eigene Vergangenheit zu verstehen und daraus zu lernen, um so ein besseres Heute und eine bessere Zukunft zu gestalten". Im Mittelpunkt stünden Toleranz und Menschlichkeit, die auch heute "Grundpfeiler für demokratische Haltung" seien.
Fasziniert an der Person Bruder Gereons habe ihn vor allem, dass es sich bei ihm um eine "kleine Figur wie du und ich" gehandelt habe, erklärte der Regisseur. "Außerlechner war 'nur' Laienbruder und im Kloster für einfache Aufgaben wie Gartenarbeit und Essensausgabe eingeteilt. Auch diese 'kleinen Dienste' erledigte er mit Hingabe." Die Bewährungsprobe sei dann in der NS-Zeit gekommen, als er als einer der wenigen an seiner Überzeugung festgehalten und mutig Widerstand geleistet habe. "Gereon gehört zu jenen Helden, die sonst immer im Schatten der großen historischen Ereignisse stehen. Aber diese kleinen Geschichten berühren einen Filmemacher besonders, da sie die Geschichte auf sehr persönliche und menschliche Weise begreifbar machen."
Widerständiger "Betbruder"
Josef Außerlechner, ein am 4. September 1904 geborener Bauernsohn, besuchte zunächst die zweiklassige Volksschule in seinem Heimatort Kartitsch und eine einjährige Ausbildung an der landwirtschaftlichen Ackerbauschule Rotholz bei Jenbach. Nach dem frühen Tod seines Vaters im Ersten Weltkrieg musste er früh Verantwortung in seiner Familie mit sechs Geschwistern übernehmen. Er arbeitete in der Landwirtschaft, bevor er nach dem Tod der Mutter 1928 als Laienbruder ins Stift Wilten eintrat, dort den Namen Gereon erhielt und 1932 die Ewige Profess ablegte. Im Kloster war Gereon als Laienbruder für die Gartenbetreuung zuständig und half im Refektorium.
Nach der zwangsweisen Auflösung des Stifts durch die Nationalsozialisten am 24. August 1939 kehrte Außerlechner in seinen Heimatort Kartitsch zurück, wo er zunächst in der Familie seines Bruders Oswald lebte, der als Kritiker des NS-Regimes mehrmals zu Verhören bei der Gestapo Lienz vorgeladen wurde. Er arbeitete als Hausdiener in einem Gasthof. Als "arbeitsscheuer Betbruder" beschimpft, der nicht wie andere Männer an der Front war oder zumindest im Reichsarbeitsdienst, war seine regimekritische Haltung in der Gemeinde bekannt und brachte ihn zunehmend in Gefahr. So musste er wegen der Anfeindungen im Dorf von seinem Bruder im Sägewerk nahe der Kirche versteckt werden.
Außerlechners Versteck wurde schließlich verraten. Vermutlich vom Dorfgendarmen informiert, erschien der Leiter der Gestapo Lienz gemeinsam mit örtlichen NS-Funktionären, um den Ordensmann am 3. März 1943 zu verhaften - aus welchem Grund ist nicht bezeugt, denn eine Vernehmung gab es nicht. Bereits am Folgetag kam er ins Konzentrationslager Dachau, wo er die Häftlingsnummer 44.970 bekam. Es gibt mehrere Todesdaten, denn offiziell starb er zwar am 13. Juni 1944 an Verblutung nach einem Fliegerangriff. Zeitzeugen berichten jedoch, dass er die Nacht vor seinem Tod von einem SS-Mann lange brutalst misshandelt wurde, ehe man ihn über eine Treppe zerrte und Wachhunde auf ihn hetzte. Außerlechner liegt in Dachau begraben. Seine mutmaßliche Denunziantin blieb nach 1945 unbehelligt.
Neubeginn im Stift nach 1945
Das Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten gehörte während der NS-Zeit dem Reichsgau Tirol-Vorarlberg, wobei die Konventsmitglieder mit Ausnahme Außerlechners über vatikanische Vermittlung ins brasilianische Exil gegangen waren. Als das Kloster im Krieg von Bomben zerstört wurde, ordnete der zuständige Gauleiter die Turmsprengung an und ließ Sprenglöcher bohren, doch wurde die Ausführung durch Mobilisierung vieler Persönlichkeiten verhindert. Ab 1946 erlebte das Kloster einen Neubeginn, eine Rückgabe seiner enteigneten Güter bis 1958 an den Orden und den Wiederaufbau, der erst 1988 zum 850. Gründungsjubiläum abgeschlossen wurde.
Auch die Beschäftigung mit Bruder Gereon ließ durch die Kriegszerstörungen lange auf sich warten. Als einer der ersten hatte der damalige Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer 2014 bei einer Predigt zum 50-Jahr-Jubiläum der Diözese auf sein Schicksal aufmerksam gemacht und Außerlechner gemeinsam mit anderen NS-Opfern wie Christoph Propst, Jakob Gapp und Otto Neururer genannt. In den jüngsten Jahren war es ein Lehrling im Archiv des Stifts, dem Außerlechners Name auf dem Pogromdenkmal auf Innsbrucker Landhausplatz aufgefallen war. Im Vorjahr appellierte schließlich der aktuelle Diözesanbischof Hermann Glettler, alle Opfer des Nationalsozialismus in den Blick zu nehmen.
Der Wiltener Prämonstratenser Martin Riederer, der Weiskopf auf die Spur Bruder Gereons gebracht hatte, betonte im Gespräch mit Kathpress, das Filmprojekt - für das derzeit noch finanzielle Unterstützer gesucht werden - ziele nicht auf eine etwaige spätere Seligsprechung ab. "Vielmehr zeigt es beispielhaft, dass der Nationalsozialismus bei jeder im Weg stehenden Person - egal ob katholisch, Zeuge Jehova, Sinto und Roma oder schwul - einen Grund fand, um sie zu bedrängen oder sogar auszuradieren." Außerlechner sei einer gewesen, "der das System durchschaut, sich nicht kaufen lassen und für seine Überzeugung den Rücken hingehalten hat". Darauf weise auch das Zeugnis des heute 92-Jährigen, der als Zehnjähriger dem Laienbruder in dessen Versteck in Kartitsch das Essen brachte: "Ich weiß nicht, ob er ein Heiliger war. Ein Widerstandskämpfer war er auf jeden Fall."
Quelle: kathpress